Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Josie Stein
Datum:
Dauer: 03:42 Minuten bisher gehört: 103
Wir haben bereits in Form eines Interviews über das Stück „Höhe.Punkt“ des Ah!-Kollektivs berichtet. Mit Hilfe von Interviews, in denen es um Erfahrungen von Menschen rund um die Themen Sex und Liebe geht, haben die fünf Mitglieder des Ah!-Kollektivs ein Skript erstellt. Josie Stein war im Deutschen Theater und hat das Stück für Sie rezensiert.

Manuskript

Text

Beim Betreten des Theatersaals befinden sich die Schauspieler*innen bereits auf der Bühne. Sitzend und Sex-Zeitschriften lesend in einem Raum, der wie ein Wartezimmer wirkt. Das Spotlight wandert von der ganzen Gruppe zu lediglich zwei Frauen. Sie zeigen sich gegenseitig ihre Zeitschriften und tauschen sich aus, bis sie sich plötzlich gegenseitig anstarren: „Hyper-over-übersexualisiert“ sagen sie dabei wie im Chor und reden über ihre Gedanken an Sex. Plötzlich fangen die Männer der Runde an, Lieder über Sex zu singen. Dann steigt die ganze Gruppe ein und gegenseitig wechseln sie sich ab mit Gesangseinlagen zu Liedern wie „Let‘s talk about sex“ von Salt‘n‘Pepa oder „Gimme! Gimme! Gimme!“ von ABBA. Währenddessen holt eine der Personen eine Matratze nach vorne ins Bild. Bumm! Sie schmeißt sich auf die Matratze und das Spotlight wechselt auf sie. Laut stellt sie sich die Frage „Wer hat sich das ausgedacht, dass das Lieben so schwer ist?“ und schaut dabei in Richtung des Publikums.

Das Theaterstück klärt in den folgenden Szenen Fragen rund um das Thema Sex und Liebe: Wie küsst man eigentlich richtig? Oder Wie flirtet man am besten? Eher mit Hilfe eines schlechten Anmachspruchs wie: „Hi, ich hab mein Pferd verloren, darf ich auf dir weiter reiten?“ oder doch eher auf die altmodische Art: „Hey du bist mir positiv aufgefallen. Hast du Lust auf einen Drink?“ Auch Masturbation oder Pornos werden von dem fünfköpfigen Ah!-Kollektiv des Deutschen Theaters im Stück „Höhe.Punkt“ aufgegriffen. Die Schauspieler*innen Moritz Kahl, Nele Sennekamp, Alma Nossek, Paul Häußer und Lilian Sophie Jöster bilden das Ensemble. Gemeinsam haben sie den Jugendkulturpreis Niedersachsen 2022 gewonnen. Wie es zu der Entscheidung gekommen ist, gerade dieses Thema in einem Theaterstück aufzugreifen, erzählt Ensemble-Mitglied Kahl:

 

O-Ton 1, Moritz Kahl, 23 Sekunden

Wir haben ganz am Anfang sehr lange überlegt und hatten auch ganz unterschiedliche Ideen, also in alle Richtungen. Und irgendwann sind wir immer mal wieder auf diesem Punkt Liebe oder Sexualität und Sex hängen geblieben und das hat uns immer wieder beschäftigt. Und deswegen haben wir gedacht: Okay, das ist eigentlich was, worüber wir gerne mehr reden wollen, offener reden wollen und auch andere Leute animieren wollen, offen darüber zu reden.“

 

Text

Unter Einbindung der Zuschauer*innen, durch beispielsweise Bilderpuzzle von verschiedensten Begriffen für Sex oder Tänze, bei denen die Schauspieler*innen das Publikum in den Blick nehmen, wird das Stück lebendig. Es ist auch auf einer anderen Ebene interaktiv. Das Skript basiert auf Interviews, die vorbereitend mit verschiedensten Menschen geführt wurden und in denen sie über ihre persönlichen Erfahrungen in diesen Bereichen sprechen. Somit werden inmitten der Szenen immer wieder Tonspuren oder Videos von den Befragten eingeblendet, die auf Fragen antworten wie: „Wie war dein erster Kuss?“ oder „Was bedeutet für dich Verliebtsein?“ Gerade weil das Austauschen über Sex trotzdem noch immer so ein Tabuthema in der Gesellschaft ist, ist die schauspielerische Leistung der fünf Mitglieder des Ah!-Kollektivs beeindruckend. Sie sind das gesamte Stück in ihren Rollen geblieben, auch als einige Szenen, wie die Darstellung der weiblichen Masturbation mit Hilfe einer Blutorange, etwas unangenehmer, nicht nur für das Publikum, sondern auch für sie als Schauspieler*innen, schienen und lautere, teilweise auch unangebrachte Reaktionen aus dem Publikum zu hören waren. Die Schauspieler*innen verändern das Bühnenbild immer selbstständig und kommen mit wenigen Requisiten wie Stühlen oder Matratzen aus. Außerdem bleiben ihre Outfits, die aus Trainingsanzügen bestehen, bis auf wenige Aus- und Umziehaktionen nahezu unverändert. Das stiftet ein wenig Verwirrung, denn es entsteht die Frage, ob es sich immer um die gleichen Figuren handelt. Auch dass im Stück keine Namen genannt werden, macht das Verständnis der Rollenverteilung etwas schwierig. Dennoch werden die Themen klar und verständlich umgesetzt, dem Stück lässt sich gut folgen und die Zuschauenden fühlen sich an einigen Stellen sogar angesprochen. „Höhe.Punkt“ hat unangenehme, aber auch aufklärerische und künstlerisch gut umgesetzte Momente. Gerade, um Sex als ein gesellschaftliches Tabuthema zu streichen und zu zeigen, dass es ganz normal ist und fast alle betrifft, ist das Stück weiterzuempfehlen.