Wenn es in der Leitung knackt – die Foto- und Abhörtechnik der Stasi
Sendung: | Mittendrin Redaktion |
---|---|
AutorIn: | Anja Würfel |
Datum: | |
Dauer: | 05:12 Minuten bisher gehört: 594 |
Detlev Vreisleben referiert in Teistungen über die Foto- und Abhörtechniken des MfS (Bild: Anja Würfel)
Manuskript
Text
Ein Telefongespräch in der ehemaligen DDR: plötzlich ein Knacken in der Leitung. Für die meisten hieß das damals: Die Stasi hört mit! Die verdächtigen Störgeräusche der Leitungen waren jedoch den alten Telefonanlagen aus den 30er Jahren geschuldet, wie der Nachrichtentechniker Detlev Vreisleben berichtet. Denn tatsächlich waren die Maßnahmen des MfS – oder umgangssprachlich der Stasi – äußerst umfangreich und ebenso einfallsreich. Dass den Ausgespähten die Observation bewusst wurde, ist unwahrscheinlich. Heute, 30 Jahre nach der Grenzöffnung, lässt sich das Vorgehen der Stasi rekonstruieren. Es ist geprägt von Misstrauen und einem Ausmaß an Überwachung der eigenen Bevölkerung, welches in der Geschichte einzigartig ist. Wie genau das von statten ging, weiß Detlev Vreisleben. Nachdem er ´97 über ein Relikt dieser Zeit stolperte, befasst er sich mit dem Thema:
O-Ton 1, Detlev Vreisleben, 23 Sekunden
„Ich bin über das Kamerasammeln zum Sammeln von Nachrichtentechnik gekommen. Ich habe erst mal angefangen Prakticas zu sammeln, dann habe ich eine Praktica gefunden, die speziell für die Stasi hergestellt worden ist. Es gab keine Informationen, nur Gerüchte. Dann habe ich mich darum gekümmert, Informationen gesammelt, Forschungsantrag bei der BstU gestellt und habe auch alles gesammelt, was als Nachrichtentechniker an Nachrichtentechnik mir vor die Füße gekommen ist.“
Text
Seit jenem Fund befasst sich Vreisleben mit der Foto- und Abhörtechnik der Stasi. Für diese wurden zwar zumeist handelsübliche Kameras genutzt, welche jedoch je nach Einsatzgebiet modifiziert wurden. Sie wurden in unauffälligen Gegenständen getarnt, wie Benzinkanistern, Zigarettenetuis, Kulturbeuteln oder sogar Lippenstiften und Kugelschreibern. Die Filme wurden in speziellen Containern transportiert, getarnt beispielsweise als Spraydosen. Bei unsachgemäßer Öffnung wurde der Film automatisch belichtet und dadurch unbrauchbar gemacht. Im Einsatz waren beispielsweise auch Abrollkameras zur Dokumentenfotografie. Das vom KGB entworfene Modell versteckte sich in einem Notizbuch – Deckname Alyeha. Das MfS modifizierte Kameras, mit denen unbemerkt fotografiert werden konnte, weil die Kamera im rechten Winkel, quasi um die Ecke fotografierte. Doch hier endete die Camouflage nicht, wie Vreisleben weiß.
O-Ton 2, Detlev Vreisleben, 27 Sekunden
„Bei der Observation von Leuten war das MfS also sehr einfallsreich was Tarnungen betraf. Man hat in ein Kassettengerät eine Kamera eingebaut, man hat in einen Dederon Einkaufsbeutel eine Kamera eingebaut. Was interessant war, es ist der Hauptabteilung II gelungen, eine Wanze in einen Bierdeckel zu integrieren. Man konnte also den Bierdeckel durch die Bedienung an den Tisch bringen lassen und die Gespräche, die dort geführt wurden, mithören.“
Text
Und das immerhin drei bis fünf Stunden lang. Einer der wenigen Unterschiede zum Vorgehen des MfS gegenüber anderen Geheimdiensten lag, Vreisleben zufolge, in der Infrarot-Fotografie. Der Infrarotblitz liegt unterhalb der menschlichen Wahrnehmungsschwelle, womit unbemerkt auch Nachts gute Fotos möglich waren. Die Kameras waren beispielsweise unter Jacken versteckt, durch ein Knopfloch erfolgte die Aufnahme und durch IR-durchlässige Stoffe hindurch wurde geblitzt. Aus speziell präparierten Fahrzeugen heraus war es sogar möglich, bei Überholmanövern auf der Autobahn, die Insassen des anderen Autos zu fotografieren. Die Autos trugen den Decknamen Wolke 875. Den noch vorhandenen Stasi-Akten zufolge, soll es sogar einem Agenten gelungen sein, vor der BND-Zentrale in München alle Ein- und Ausgehenden zu fotografieren. Dies gelang anhand von versteckter Fototechnik in einem Koffer. Unter den eher skurrilen Erfindungen lässt sich gar ein Spionage-Pferdesattel finden, der beim Aufsitzen automatisch die Aufnahme für eine Stunde startete. Er sollte bei westlichen Diplomaten zum Einsatz kommen. Einige Innovationen des MfS schafften erstaunlicherweise sogar den Weg in Handel, wie Vreisleben berichtet.
O-Ton 3, Detlev Vreisleben, 24 Sekunden
„Es gab eine ganz erstaunliche Geschichte. Die Stasi hat die Videotechnik, Videokameras beeinflusst, die in der DDR hergestellt worden sind und diese modifizierte oder modernere Technik ist in die Volkswirtschaft geflossen. Das gleiche auch mit Kassettenlaufwerken. Die Stasi hat also ein magnetgesteuertes Kassettenlaufwerk entwickeln lassen, was später in der Unterhaltungsindustrie Einzug gefunden hat, im SK 3000 zum Beispiel.“
Text
Der Grund für diese Weiterentwicklung ist heute bekannt und heißt CEKO. CEKO steht für Centrales Kontrollsystem, dieses damals knapp 150 Millionen Mark teure System ermöglichte die flächendeckende und automatische Aufnahme von Telefongesprächen auf Kassetten. In der Stadt Erfurt konnten via CEKO parallel 120 Apparate überwacht werden, in Weimar 20 und in Nordhausen fünf. Die Innovationen sollten Qualität und Zuverlässigkeit der Aufnahmen gewährleisten. Außerdem sollte das manuelle Schalten überflüssig gemacht werden, um Personal einzusparen. Jedes CEKO-System jeder Dienststelle war außerdem mit einer strengstens geheimen Anlage ausgestattet – diese Anlagen wurden eigens zur Überwachung der eigenen Mitarbeiter des MfS installiert. Ironischerweise gehörten diese, zu den am häufigsten observierten Personen.
Zur Verfügung gestellt vom StadtRadio Göttingen
Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für private Zwecke benutzt werden. Jede andere Verwendung (z.B. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Bearbeitung, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung der Autorin bzw. des Autors zulässig. Die Verwendung für Rundfunkzwecke bedarf der Genehmigung des StadtRadio Göttingen.