Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Katharina Carle
Datum:
Dauer: 08:31 Minuten bisher gehört: 292
Kein Tag vergeht ohne neue Nachrichten über die Corona-Pandemie oder neue gesetzliche Regelungen darüber. Während die einen sich für eine Impfpflicht aussprechen, gehen die anderen seit Wochen gegen diese sowie andere Maßnahmen auf die Straße. So auch in der Region Südniedersachsen: Der größte Protest findet dabei immer montags in Göttingen statt. Meine Kollegin Katharina Carle hat über mehrere Wochen die sogenannten corona-maßahmenkritischen Demonstrationen sowie den Gegenprotest begleitet:

Banner des Gegenprotestes am 7. Februar (Bild: Katharina Carle)

Blockade des Aufmarsches durch den Gegenprotest (Bild: Katharina Carle)

Manuskript

O-Ton 1, Atmo, 24 Sekunden

 

Text

Seit Anfang Dezember versammeln sich wöchentlich die Gegner der Corona-Maßnahmen sowie dazugehöriger Gegenprotest in Göttingen. Etwa 250 Personen kommen hier Woche für Woche zusammen, um gegen die Corona-Maßnahmen zu demonstrieren. Ursprünglich fanden die Kundgebungen unangemeldet vor dem Neuen Rathaus statt. Ihnen gegenüber immer Gegenprotest, auch unangemeldet. Einer dieser Gegendemonstranten war am 17. Januar Ulrich Eberhard. Er hat abseits der größeren Menschenmenge eine Tafel zum Gedenken an die Toten der Corona-Pandemie aufgestellt. Für jeden Corona-Toten hat er einen Punkt auf eine Tafel gemalt:

 

O-Ton 2, Ulrich Eberhard, 22 Sekunden

Ich finde die Leute kommen zu kurz, die werden zu wenig thematisiert. Es gibt hier verschiedene Gruppen, die demonstrieren, darunter auch extreme Rechte und keiner spricht über die Toten - und die gibt es. Das ist Fakt. Die sind gestorben. Ob die jetzt daran gestorben sind oder damit, das weiß ich nicht. Über die muss gesprochen werden und nicht über Verschwörungserzählungen.“

 

Text

Beworben werden die Aufrufe zu den maßnahmenkritischen Demonstrationen über den Kanal der “Freien Niedersachsen“ auf Telegram. Dieser Kanal sei eng verbunden mit den „Freien Sachsen“, die als rechtsextreme Gruppierung eingestuft worden sind, so der Wissenschaftler Michael Lühmann vom Göttinger Institut für Demokratieforschung. Daher würden die Demonstrierenden den Aufrufen von rechten und auch teils extrem rechten Gruppen folgen. Dass parlamentarische Rechte und extreme Rechte aus den Protesten einen Profit schlagen wollen, weiß auch Agnieszka Zimowska, Geschäftsführerin des DGB Südniedersachsen-Harz. Dennoch sieht sie in den Teilnehmenden der maßnahmenkritischen Proteste eine bunte Mischung aus unterschiedlichen Spektren.

 

O-Ton 3, Agnieska Zimowska, 31 Sekunden

Ich würde sagen, die Mehrheit der Menschen, die dort ihren politischen Ausdruck auf der Straße finden, haben vorher vielleicht noch nie an einer Demonstration teilgenommen und haben sich auch nie davon angesprochen gefühlt. Es sind Menschen, die die Maßnahmen sich nicht erklären können oder sie eben auch für falsch halten, es sind Menschen aus dem Spektrum der Alternativmedizin, aber auch vielleicht anderen politischen Bereichen. Also ich würde sagen: Ja, es ist eine absolut bunte Mischung

 

Text

Allerdings sieht Zimowska auch das Problem, dass diese bunte Mischung an Menschen kein Problem damit hat, mit Rechten auf der gleichen Demonstration zu laufen. Doch was sagen die Demonstranten selbst zu ihren Beweggründen? Auf den Demonstrationen in Göttingen ist der Großteil der Maßnahmenkritiker über 40 Jahre alt, allerdings gibt es auch mehrere jüngere Teilnehmende. Einige der Demonstrierenden haben auch ihre Kinder dabei. Es werden zum Beispiel Schilder mit der Aufschrift „Meinungsvielfalt statt Einheitsmeinung“, „Ich bin kein Nazi“ und „GrundGesetz statt GreatReset“ getragen. Bei GreatReset handelt es sich ursprünglich um eine Initiative des Weltwirtschaftsforums, nach der Pandemie die Weltwirtschaft gerechter und sozialer zu gestalten. Jedoch wird dieser Begriff auch in verschwörungsideologischen Kreisen benutzt für die angeblichen Weltherrschaftspläne einer Elite, welches ein bekanntes Muster einer antisemitischen Verschwörungstheorie ist. Über ihre Beweggründe, warum sie demonstrieren, wollen viele nicht reden. Kaum danach gefragt, wird ein Mann schon von seiner Frau in die Menge gezogen. Eine andere, etwa 30-jährige Frau reagiert nur mit starrem Blick, fängt dann an zu lachen und geht weg. Allerdings gibt es auch Menschen, die reden wollen. In ein Mikrofon sprechen will aber keiner. Alle, die ihre Teilnahme an den Protesten erklären, haben sich gegen die Impfpflicht ausgesprochen. Einige Frauen fügen hinzu, dass es ihre Entscheidung sei, ob sie sich impfen lassen.

 

O-Ton 4, Atmo, 16 Sekunden

Friede, Freiheit, Mitbestimmung! Friede, Freiheit, Mitbestimmung! Friede, Freiheit, Mitbestimmung!- Gegenprotest: Alerta, Alerta, Antifascista!Alerta, Alerta, Antifascista!“

 

Text

Gegen die Impfpflicht spricht sich auch ein jüngerer Mann aus. Aber die Impfpflicht ist nicht das einzige Thema, das ihn auf die Straße bringt. Die Medien würden nicht gut und langfristig über Themen berichten und alles aufbauschen. Er glaube nur noch das, was in seinem direktem Umfeld passiere und was er dort wahrnehmen könne. Nach Corona werde ein anderes Thema kommen, mit dem den Menschen Angst gemacht werden solle. Der Klimawandel zum Beispiel oder Russland. Danach führt er aus, warum Russland zu Unrecht als böse dargestellt werde und dem Land gegenüber mehr Respekt entgegengebracht werden sollte. In seinen Ausführungen erwähnt er die 30 Millionen russischen Toten im Zweiten Weltkrieg und vergleicht diese Zahl mit der Zahl der ermordeten Juden im Holocaust, meint aber gleich darauf, dass er das gar nicht klein reden wolle. Er sei allerdings aus beruflichen Gründen geimpft, da er Angst um seinen Job im zahnmedizinischen Bereich habe. Boostern lassen wolle er sich aber nicht. Ein anderer Mann ist der Meinung, dass Corona gar nicht so schlimm sei und die Zahlen nur eine Erfindung wären. Das Ganze sei bloß eingeführt worden, um strengere Gesetze durchzusetzen und Deutschland in eine Diktatur zu verwandeln. Diese ganzen Positionen einzelner Teilnehmer sind auf den corona-maßnahmenkritischen Demonstrationen im Gespräch gefallen. Dem gegenüber steht immer ein breiter Gegenprotest.


 

O-Ton 5, Atmo, 10 Sekunden

Schwurbler verpisst euch!- Keiner vermisst euch! Schwurbler verpisst euch! - Keiner vermisst euch! Schwurbler verpisst euch! - Keiner vermisst euch!“


 

Text

Mit diesen Worten und Plakaten mit der Aufschrift „Verschwörungsideologien raus aus den Köpfen“, „Wer mit Nazis spaziert, hat nichts kapiert“, „Keine Bühne für Aluhüte“ und „Lieber Impfen statt schimpfen“ begleitet der Gegenprotest die Demonstration der Maßnahmenkritiker und Verschwörungsideologen. Unter den Demonstrierenden sind viele jüngere Menschen, einige ältere sind aber auch dabei, wie zum Beispiel die „Omas gegen Rechts“. Zwei von ihnen erzählen, dass sie sich für das Impfen aussprechen. Es sei solidarisch gegenüber anderen, die sich nicht impfen lassen können. An den Maßnahmen der Pandemie haben sie aber durchaus Kritikpunkte. Ein weiterer Gegendemonstrant, der bei jeder Gegendemo dabei ist, ist Marcel Orth von der Partei DIE PARTEI. Mit drastischen Worten beschreibt er seine Meinung zu den Demonstrationen der Maßnahmenkritiker:

 

O-Ton 6, Marcel Orth, 27 Sekunden

Grundsätzlich sind wir wie jeden verfickten Montag hier, um den Schwurblern zu zeigen, dass sie weder das Volk sind, sie sind noch nicht mal eine Minderheit innerhalb der 20 Millionen Ungeimpften. Denn die bleiben nämlich zu Hause und gehen nicht anderen auf den Sack mit ihrer Entscheidung, sondern tragen einfach die Folgen ihrer Entscheidung wie erwachsene Menschen das tun.“

 

 

Text
In Redebeiträgen des Gegenprotestes forderten Redner auch die Freigabe der Impfpatente, um die Pandemie auch weltweit bekämpfen zu können. Auch prinzipielle Kritik an der Kommerzialisierung des Gesundheitssystems wurde geübt, allerdings sei die einzige Möglichkeit, sich nun solidarisch zu zeigen und sich impfen zu lassen.


 

O-Ton 7, Atmo, Gegenprotest, 15 Sekunden

Si amo tutti antifascisti! Si amo tutti antifascisti! Si amo tutti antifascisti!“


 

Text

In den vergangenen Wochen sind die Maßnahmenkritiker dazu übergegangen, ihre Demonstrationen als Zug anzumelden. Dabei ist es immer wieder zu Blockaden durch die Demonstrierenden der Gegendemo gekommen. Trotz mehrfacher Aufforderung, die Strecke zu räumen, ist dies nicht passiert, wodurch die Polizei Göttingen nach eigenen Angaben durch Abdrängen und Schieben die Gegendemonstranten von der Demoroute schob. Dabei ist es am 7. Februar auch zu dem Einsatz von Schmerzgriffen gekommen. Niklas Fuchs von der Polizeiinspektion Göttingen zu den Blockaden durch die Gegendemonstranten:


 

O-Ton 8, Niklas Fuchs, 21 Sekunden

Dazu muss man ganz deutlich sagen, dass das Blockieren einer von der Versammlungsbehörde bestätigten Aufzugsroute verboten ist und deshalb nicht toleriert werden kann. Und die Polizei ist verpflichtet, Versammlungen und deren Durchführungen zu ermöglichen und zwar in dem angezeigten Umfang und auch völlig unabhängig vom Thema der Versammlung.“


 

Text

Die Göttinger Grünen kritisierten den Polizeieinsatz und fordern eine Aufarbeitung. Am 14. Februar hat die Polizei ein anderes Einsatzkonzept gefahren: Mit Kommunikationsbeamten sollte der blockierende Gegenprotest verbal zur Freigabe der Strecke bewegt werden. Die Strecke blieb jedoch blockiert und der Aufzug der Maßnahmengegner kehrte um. Für die kommenden Wochen sind weitere Proteste angemeldet, sowohl auf maßnahmenkritischer Seite als auch auf der Seite des Gegenprotestes.