Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Lilly Krka
Datum:
Dauer: 06:02 Minuten bisher gehört: 199
Mit Parolen wie „Das ist unsere Stadt“ und „Soziales Zentrum jetzt“ kämpften am Donnerstag, den 06.10.22 zahlreiche Aktivist*innen gegen den geplanten Verkauf der alten JVA am Waageplatz. Seit einem Straßenfest war das Gelände für einige Tage besetzt worden und mit zu einem Ort der Begegnung für das Viertel umfunktioniert. Im Laufe des Tages wurde das Gebäude von der Polizei geräumt. Welche Hürden die Einsatzkräfte dabei überwinden mussten, erfahren Sie von Lilly Krka.
Dieser Beitrag wird Ihnen präsentiert von: Das Backhaus

Auf der Mauer der alten JHA harrten die Demonstrierenden aus, bis das Gebäude nachts geräumt wurde. (Bild: Lilly Krka)

Manuskript

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„Wir wollen keine Stadt mit Investoren und Start-ups, wir wollen eine Stadt für alle“. Das war der Konsens auf der Demonstration für das Soziale Zentrum und gegen die Räumung der besetzten JVA am vergangenen Donnerstag Vormittag. Ca. 200 Menschen solidarisierten sich mit den Forderungen der Besetzer*innen und fanden sich zu einer Demo am neuen Rathaus ein. Später wurde vor der alten JVA auf die Räumung gewartet; die Polizei lies sich aber Zeit. Von Montag Abend an wurde nach dem Straßenfest zugunsten des Sozialen Zentrums das Gebäude der alten JVA von der Initiative „Autonome Stadtverwaltung Göttingen“ besetzt. In den letzten Tagen gab es dort Führungen durch das Haus, gemeinsames Kochen mit der „Soli-Küche“ und Musikveranstaltungen. So sollte gezeigt werden, dass ein Soziales Zentrum in den Räumen der JVA einen Mehrwert für die Stadt bringen könnte. Donnerstag Morgen wurde jedoch ein Strafantrag von der Göttinger Oberbürgermeisterin Petra Broistedt gegen die Besetzer*innen gestellt und die Räumung des Hauses veranlasst. Anklagepunkte sind Hausfriedensbruch und der Diebstahl der Gartenmöbel aus dem Innenhof der alten JVA. Marie Kollenrott von den Grünen hätte sich von Petra Broistedt einen anderen Umgang mit der Besetzung gewünscht:

 

O-Ton 1,Marie Kollenrott, 20 Sekunden

Ich hätte mir gewünscht, sie hätte sich nun an die Spitze einer sozialen Bewegung gestellt und hätte diese Idee des Sozialen Zentrums hier mitentwickelt. Diese Möglichkeit wird hier vertan und das halte ich ehrlich gesagt für eine fatale Politik. Ich glaube auch nicht, dass es gut ist, jetzt mit Repressionen tatsächlich auf den Ausdruck des Willens der Bürger*innenschaft in diesem Viertel zu reagieren.“

 

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Viele politische Organisationen, insbesondere Jugendverbände haben sich mit den Forderungen der Besetzer*innen solidarisiert. So zum Beispiel die Grüne Jugend, die JuSos der SPD, die Links-Jugend/solid und die Partei „Volt“.

Ein Geflüchteter, der anonym bleiben möchte, berichtete auch aus der Perspektive von Asylbewerber*innen. Vor allem zur Traumabewältigung wäre ein Soziales Zentrum eine enorme Hilfe, sagte er. Geflüchtete würden von dem Gesundheitssystem nicht genug aufgefangen, in den üblichen psychotherapeutischen Angeboten könnte eine Retraumatisierung drohen. Die geplante Räumung der Besetzung sei seiner Ansicht nach ein Angriff auf alle Geflüchteten.

Auch Stimmen aus dem Stadtrat selbst waren vertreten. Carina Hermann von der CDU war an den Diskussionen zur Zukunft der alten JVA beteiligt. Sie verteidigt die Entscheidung der Oberbürgermeisterin:

 

O-Ton 2, Carina Hermann, 29 Sekunden

Als Richterin bin ich natürlich dafür, das Recht einzuhalten und es gibt eine demokratische Entscheidung im Rat der Stadt Göttingen über die Zukunft dieser alten JVA und jetzt findet hier ein Hausfriedensbruch statt und eine rechtswidrige Besetzung und das sind Mittel mit denen einfach ein Rechtsstaat nicht funktioniert und da gilt es jetzt auch, hart durchzugreifen. Die Oberbürgermeisterin hat hier auch eine Frist gesetzt, auch mit der Ankündigung, Strafantrag zu stellen. Also sie hat hier entsprechend gehandelt und das ist auch gut und richtig so.“

 

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Um 14 Uhr rückte die Bundespolizei aus Hannover mit einigen Mannschaftswagen und einem LKW an. Zunächst forderte sie die Besetzer*innen zu einem Kooperationsgespräch auf, dem wurde jedoch nicht nachgegangen. Wenig später wurde bekannt, dass die Einsatzkräfte in den Innenhof der JVA gelangt sind und versuchten, sich Zugang zum Gebäude zu verschaffen. Gleichzeitig wurde die Blockade vor der Eingangstür des Gebäudes aufgelöst. Im Anschluss wurden die Personalien der Aktivist*innen aufgenommen, vier von Ihnen konnten sich nicht ausweisen und wurden deshalb auf die Gefangenensammelstelle in der Otto-Hahn-Straße gebracht.

Die Stimmung auf dem Platz der Synagoge war angespannt, Stolz auf die Besetzer*innen und Enttäuschen über das Handeln der Stadt wechselten sich ab. Auch die Demonstrierenden Carlotta und Phoebeo waren zwiegespalten:

 

O-Ton 3, Carlotta & Phoebeo, 37 Sekunden

Ich find’s halt super schade, dass einfach von der Stadt so ein krasses Zeichen dagegen gesetzt wird und halt einfach so krass dagegen vorgegangen wird und halt mit so ‘nem riesen Polizeiaufgebot jetzt irgendwie Menschen, die so friedlich da drinnen für was wirklich Cooles, Soziales hier in der Gegend stehen, da jetzt einfach so rausgeschmissen werden. Ich hätte mir gewünscht, dass da mehr so Offenheit dem gegenüber gezeigt wird. Gleichzeitig ist es aber auch voll cool, dass gezeigt wird, dass sowas nicht einfach so passieren kann, dass nicht einfach so ein cooler Raum verkauft werden kann an private Investor*innen und irgendwelche doofen Co-Working-Spaces draus gemacht werden. Sondern, dass sich da ein Widerstand bildet – ein starker Widerstand – und das, glaube ich, gibt halt auch voll vielen richtig viel Kraft.“

 

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Die Besetzer*innen, die auf der Außenmauer verharrten, bereiteten den Polizist*innen jedoch Probleme. Bei der Höhe von ca. vier Metern war es zu gefährlich, sie unter Zwang herunterzuholen. Das bestätigte nach einiger Beratung auch die Feuerwehr, die sich dementsprechend weigerte, aktiv zu werden. Um 19 Uhr begannen die Einsatzkräfte abzurücken. Es wurde bekannt gegeben, dass die Aktivist*innen auf der Mauer bleiben dürfen, ein Einsatzwagen sollte über Nacht vor der JVA Stellung halten. Unterstützer*innen wie Noah zeigten sich freudig:

 

O-Ton 4, Noah, 26 Sekunden

Ich bin erstmal super, super stolz auf die ganzen Aktivist*innen, die auch hergekommen sind, um Solidarität zu zeigen und zu unterstützen. Und es macht mich auf jeden Fall sehr, sehr happy, dass die Polizist*innen jetzt erstmal quasi aufgegeben haben und die Leute auf der Mauer nicht runterholen. Einfach, weil das ein riesen Zeichen setzt für uns, dass wir wirklich was bewirken können.“

 

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Gegen 22 Uhr gingen im Gebäude wieder die Lichter an und neue Transparente wurden von den Fenstern der JVA ausgerollt. Die Polizei hatte bei der Räumung scheinbar einige Menschen übersehen. Gegen Mitternacht wurde das Gebäude wieder und dieses Mal komplett geräumt. Dabei wird den Einsatzkräften von Seiten der Besetzer*innen auch Polizeigewalt vorgeworfen. Aktivist*innen vor dem Gebäude sollen geschubst und beleidigt worden sein.