Auch hier droht das Clubsterben: Über die Lage der Göttinger Kulturszene
Sendung: | Mittendrin Redaktion |
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AutorIn: | Ben Mendelson |
Datum: | |
Dauer: | 05:59 Minuten bisher gehört: 449 |
Manuskript
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Gerade steht alles still. Während mancherorts Jugendliche illegale Rave-Partys in der Natur schmeißen, können Clubbetreiber nur auf den Tag X warten: Den Tag, an dem sie wieder öffnen dürfen. Zwar wurden von staatlicher Seite Unterstützungszahlungen angekündigt. Sofern diese aber überhaupt bewilligt wurden, können sie nur einen Teil der Verluste auffangen, wie drei Clubbetreiber aus Göttingen berichten. Tim Kießling ist einer der beiden Geschäftsführer vom „6 Million Dollar Club“ in der Nähe des Göttinger Bahnhofs. Er spricht aus, wie es seinem Club und der Branche gerade finanziell geht.
O-Ton 1, Tim Kießling, 30 Sekunden
"Unsere Lage ist, wahrscheinlich wie bei vielen Bar- und Clubbesitzern auch, nahe der Katastrophe. Wir haben das große Glück, dass wir einen guten Vermieter haben, mit dem wir im Austausch sind und der auch ein großes Interesse daran hat, dass wir auch in dem Laden drin bleiben und es weitergeht. Insofern ist man da immer im guten Austausch und für uns ist das immer ein kleiner Silberstreif am Horizont. Prinzipiell ist es aber schon so, dass man sich natürlich ziemlich im Stich gelassen fühlt, gerade weil wir ja nun wirklich verdonnert sind, geschlossen zu haben – also unserer Tätigkeit einfach nicht nachgehen können."
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Nicht alle Clubbetreiber haben kulante Vermieter. Einige wollen auch weiterhin die volle Miete überwiesen bekommen. Zudem werden laufende Kosten durch staatliche Hilfszahlungen, sofern diese überhaupt bewilligt werden, nur zu 80 Prozent übernommen. 20 Prozent müssen die Clubinhaber also weiterhin aus der eigenen Tasche bezahlen. Und um selbst über die Runden zu kommen, bleibt ihnen nur auf Erspartes, Grundsicherung oder Hartz-IV zurückzugreifen. Selbst wenn er wieder öffnen dürfte, würde er es derzeit nicht machen, sagt Kießling vom „6 Million Dollar Club“. Denn mit derzeitigen Hygieneauflagen und Abstandsregeln könnten höchstens zehn bis 20 Menschen in seinen kleinen Club kommen. Da komme keine Stimmung auf, da könnten die Gäste auch in die Bibliothek gehen und in Ruhe ein Buch lesen, meint er. Auch im Kellerclub Nörgelbuff geht derzeit nichts. Sascha Pelzel aus dem Vorstand vom Rockbüro Göttingen e.V., der ihn verwaltet, sagt, dass es auch mit Hygieneauflagen für den kleinen Club nicht realistisch wäre, wieder zu öffnen. Wenn Hygienekonzepte wie für Restaurants oder Bars auch hier angewendet würden, dann:
O-Ton 2, Sascha Pelzel, 29 Sekunden
"Muss ich ganz ehrlich gestehen, sehe ich im Nörgelbuff gar keine Konzerte. Weil die Gänge sind da sehr eng, die Treppe überhaupt um reinzukommen ist sehr eng, die Toiletten sind sehr klein. Der Weg von der Theke zum Konzertraum ist so schmal, dass da einfach große Schwierigkeiten entstehen. Ich kann es mir wirklich nicht vorstellen unter diesen Bedingungen irgendetwas überhaupt zu machen. Und wenn überhaupt, dann reden wir da vielleicht von zehn bis zwanzig Gästen. Und das ist natürlich finanziell absolut sinnfrei."
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Das sei für viele Inhaber von Läden derzeit so, erzählt Pelzel. Manche machten mit ihren Restaurants oder Bars seit der Öffnung kleine Gewinne. Viele kämen aber nicht auf ein positives Ergebnis oder machten sogar mehr Verluste, als wenn ihre Läden geschlossen bleiben würden. Es gehe für sie auch um ein Zeichen, dass sie noch da sind. Der Nörgelbuff hat zum Beispiel ein Online-Programm auf die Beine gestellt und Livestreams organisiert. Ab September wird zudem ein Teil des Programms in der Musa stattfinden. Allerdings statt gut 20 Veranstaltungen pro Monat nur etwa fünf bis zehn. Und wo sonst 400 Gäste bei einem Konzert anwesend sein könnten, werden dann höchstens 75 Menschen sitzen dürfen. Es bleibe abzuwarten, ob sich dieser Schritt finanziell lohnen werde. Bea Roth ist die Inhaberin vom Club Exil, der vor drei Jahren aus der Innenstadt in die Weender Landstraße 5, gegenüber vom Zentralcampus der Uni, gezogen ist. Sie öffnet derzeit wieder ihre Pforten, allerdings nur für den Kneipenbetrieb. Da nur wenige Gäste kommen dürfen, macht sie damit nur wenige hundert Euro Umsatz am Abend - ein Verlustgeschäft. Es wäre finanziell weniger schädlich, den Laden ganz geschlossen zu halten. Aber es geht auch für sie um ein Zeichen: Auch das Exil lebt – noch. Von der Stadt Göttingen und insgesamt von der Politik ist Roth allerdings sehr enttäuscht. Sie hat seit März zum Beispiel mehrere Mails an Rolf-Georg Köhler geschrieben. Doch bis heute habe ihr der Göttinger Oberbürgermeister auf keine einzige davon geantwortet.
O-Ton 3, Bea Roth, 29 Sekunden
"Natürlich schmückt sich gerne die Stadt mit den Veranstaltungen, die wir machen. Und das sind 40 bis 60 pro Jahr. Und wir haben in den letzten drei Jahren am neuen Standort fast 20.000 Konzertgäste bei uns durchgeschleust. Und das alles mit einer Kapazität von zwei Leuten, nämlich ich und mein festangestellter Booker Karl Schrader, der über Jahre hinweg schon Veranstaltungen gemacht hat, hochkarätige Veranstaltungen gemacht hat und auch immer noch machen möchte. Ja, damit kann sich die Stadt gerne schmücken, aber das wird sie dann in Zukunft auch nicht mehr können."
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Auch das Exil ist wirtschaftlich kurz vor dem Kollaps. Und die staatlichen Hilfszahlungen gehen an der Realität vorbei, meint Roth. Neue Unterstützungen für Juni bis August seien ihr zwar zugesagt worden, doch Stand 19. August habe sie davon keinen Cent bekommen. Sascha Pelzel vom Rockbüro Göttingen e.V. sagt, es sei für ihn unverständlich, warum Menschen dicht gedrängt im Flugzeug sitzen dürften, aber nicht bei einem Konzert. Die Kultur habe eine schwächere Lobby, obwohl sie auch in Göttingen einer der größten Wirtschaftszweige ist. Der von ihm verwaltete Nörgelbuff kann sich bis Ende des Jahres halten, auch weil der Club 2019 ein gutes Geschäftsjahr hatte. Wie es danach weitergehe, sei aber ungewiss. Pelzel und Roth können vor allem eines positiv betonen: die immense Höhe von privaten Spenden. Beim Nörgelbuff seien Spenden im hohen vierstelligen Bereich eingegangen. Und Roth meint, die Spendenden für das Exil seien positiv verrückt. Sie bekomme immer wieder Spenden, zum Teil anonym über mehrere hundert Euro, sodass sie sich nicht mal persönlich bedanken könne. Das wolle sie auf diesem Wege nachholen: Danke an Unbekannt. Auch wenn die Zukunft für die Clubszene in Göttingen sehr düster aussieht und noch nicht absehbar ist, wie viele Lokalitäten dauerhaft verschwinden werden, sind diese privaten Unterstützungen ein klares Zeichen: Die Bevölkerung in Göttingen steht hinter ihren Clubs. Von der Politik sind die Clubbetreiber hingegen enttäuscht.
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