Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Christoph Lohnherr
Datum:
Dauer: 04:15 Minuten bisher gehört: 122
Fargo ist mit rund 120.000 Einwohnern eine Stadt von ähnlicher Größe wie Göttingen – und zugleich die größte Stadt im US-Bundesstaat North Dakota. Weltweit berühmt wurde Fargo durch den gleichnamigen Film der Brüder Joel und Ethan Coen – der allerdings zum größten Teil im benachbarten Minnesota spielt. Christoph Lohnherr mit einer Filmkritik zum Filmklassiker aus dem Jahr 1996.

Manuskript

Text

Alles fängt an mit einem schon in der Planung stümperhaft angelegten Verbrechen im verschneiten Mittleren Westen der USA. Der Autoverkäufer Jerry Lundegaard, wunderbar gespielt von William H. Macy, lebt mit Frau und Sohn in einfachen, aber scheinbar geregelten Verhältnissen. Allerdings steckt er in großen finanziellen Schwierigkeiten und hat die verzweifelte Idee, die eigene Ehefrau entführen zu lassen, um so an das Lösegeld seines wohlhabenden, aber geizigen Schwiegervaters zu kommen. Nach und nach wird deutlich, daß Jerry auch schon zuvor versucht hat, ein finanzielles Loch nach dem anderen durch immer neue zu stopfen und keine mittel- oder langfristige Lösung weiss. Immer wenn der Druck und Stress zu groß werden, beendet er Gespräche oder flieht. Woher seine immensen Schulden stammen, lässt der Film dabei offen - aufgrund seiner Persönlichkeit liegt aber die Vermutung nahe, daß Jerry in unseriöse Geschäfte investiert oder auch Spielschulden haben könnte.

 

Vermittelt durch einen Mechaniker im Betrieb verabredet er sich in einer Bar mit den beiden Gangstern Carl und Gaear, die die Entführung ohne Verletzte durchführen sollen. Doch als sie bald in das Haus der Lundegaards einbrechen, kommt es schon kurz darauf zu den ersten Todesfällen. Ein Polizist, der ihr Auto anhält und den sie zunächst ungeschickt zu bestechen versuchen, sowie zwei zufällig vorbeifahrende Zeugen, werden die ersten Opfer in diesem immer weiter aus dem Ruder laufenden Schlamassel.

 

Erst nach einer halben Stunde wird die hochschwangere Polizistin Marge Gunderson eingeführt. Unaufgeregt, aber mit großer Genauigkeit setzt sie die Puzzleteile zusammen und geht ersten Spuren nach, die sie bald auf die Fährte der beiden Entführer bringen. Auch Jerry begegnet sie dabei schon früh, der sich auffällig und merkwürdig verhält, aber zunächst kein Verdächtiger ist. Denn ermittelt wird erst einmal nur wegen der drei Toten, während die Entführung der Polizei nicht gemeldet wird, aus Sorge um das Wohlbefinden der Geisel. Schliesslich mischt sich Jerrys Schwiegervater selbst in die Verhandlungen ein und besteht darauf, das Lösegeld von einer Million Dollar persönlich zu übergeben. Doch auch das nimmt kein gutes Ende...

 

Für die Schauspielerin Frances McDormand war die Verkörperung der liebenswerten, klugen und in entscheidenden Momenten klare Grenzen aufzeigenden Beamtin eine besonders wichtige Rolle in ihrer Karriere. Sie erhielt dafür einen Oscar, wie übrigens auch die Coen-Brüder selbst für das Drehbuch. Auch Steve Buscemi, der den menschlicheren der beiden Entführer in dessen Überforderung und Hartnäckigkeit ebenso komödiantisch wie tragisch spielt, glänzt in seiner Rolle.

 

Mittlerweile zählen Joel und Ethan Coen längst zu den wichtigsten Regisseuren der jüngeren Filmgeschichte und haben in ihren meist selbst geschriebenen Werken eine Vorliebe für Situationen, die immer verzwickter und unübersichtlicher werden. Sie wechseln dabei mühelos zwischen verschiedenen Genres, doch ihre Faszination gilt meist Kriminalfällen und der genauen Beobachtung ungewöhnlicher Charaktere. Auch in Fargo zeigen sie einerseits liebevoll den provinziellen Alltag mit viel Sympathie für das beschauliche Leben der Menschen dort, scheuen aber auch vor den Abgründen nicht zurück. Ihr Film ist vor allem durch die brilliant geschriebene und verkörperte Rolle der Polizistin menschenfreundlich und empathisch, trotz einiger absichtlich karikierter Figuren. Demgegenüber steht die Tragik eines Verbrechens, das irgendwann eine Eigendynamik und Ausweglosigkeit entwickelt und letztlich ein Kind ohne Eltern und Großvater zurücklässt.

 

Die Coens haben sich den Spaß erlaubt, zu behaupten, ihr Film beruhe auf einer wahren Geschichte. Sein Einfluss reicht bis in die heutige Fernsehlandschaft: Denn mittlerweile hat das Genre-Meisterwerk andere Filmemacher dazu inspiriert, eigene Geschichten im Fargo-Universum zu erzählen. Eine gleichnamige Serie greift als Spin-Off in abgeschlossenen Staffeln und ebenso verzwickten Kriminalfällen die Geographie, Motive und vor allem Atmosphäre des Kultfilms auf.