Holocaustüberlebender Leon Weintraub über seine Zeit in Göttingen
Sendung: | Mittendrin Redaktion |
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AutorIn: | Robert Roggenkamp |
Datum: | |
Dauer: | 07:02 Minuten bisher gehört: 220 |
Manuskript
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Leon Weintraub geboren in Lodz Polen überlebte mit viel Glück die Vernichtungsmaschinerie der Nazis. Und das gleich mehrere Male. Zuerst im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau als er dem Tod durch Vergasung entrann, indem er sich ungesehen einen Gefangenentransport anschloss und zwei Konzentrationslager später als er es mit anderen Häftlingen schaffte aus einem Zug zu flüchten. Nur 16 von 80 seiner Familienmitgliedern überlebten die Shoa. Kurz nach Kriegsende fing er ein Medizin-Studium in Göttingen an. Allen Widrigkeiten zum trotz schaffte es Leon Weintraub das Studium abzuschließen. Viele Shoa-Überlebende entschieden sich dagegen nach dem Krieg in Deutschland zu leben, auf die Frage wieso er sich für das Land der Täter entschied antwortet Leon Weintraub:
O-Ton 1, Leon Weintraub, 86 Sekunden
"Nach der Befreiung war ich erfüllt von Lebensfreude, von Genugtuung, ich habs überlebt, dass die Nazis nicht geschafft haben mich ums Leben zu bringen. Ich hatte keine Ressentiments zu Menschen in Deutschland, konkreten Menschen. Erstmal es dauerte Monate bis ich körperlich und physisch wieder gesund wurde. Ich habe nur 35 Kilo gewogen nach der Befreiung, so um den 23. April 1945 in der Gegend um hinter Donaueschingen. Und ich hatte keine solche Gedanken. Ich hab den Tag so genommen wie er war und hab nicht philosophiert sozusagen, weder über meine Vergangenheit, was ich erlebt habe oder über Zukunft. Einfach nur Leben. Genießen, dass ich lebe und wieder Mensch zu werden – so die Wahl des Landes des Studiums, das kam dann, weil ich Studieren wollte und die Gelegenheit hat sich ergeben. Könnte genauso in der Schweiz oder in Brasilien gewesen sein, aber ich habe die erste Gelegenheit, die sich ergeben hat ergriffen nach Göttingen zu kommen und da bin ich glücklich über diese Entscheidung und bin sehr zufrieden darüber."
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Leon Weintraub der 2004 mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet wurde, ist als Zeitzeuge in Deutschland und in seiner Wahlheimat Schweden unterwegs. Ihm ist ein humanistisches Wertebild wichtig, das er in seinen Gesprächen auch den jüngeren Generationen vermitteln will.
O-Ton 2, Leon Weintraub, 60 Sekunden
"Ich pflege meinen Gesprächen mit den Jugendlichen einige Sätze mit auf den Weg zu geben. Das humanistische, das Mensch-sein unterstrichen und dann gezeigt und erzählt, dass wenn ich als Chirurg, Frauenarzt eine Patientin operiere, sowie auch die Haut, welche Farbe sie auch hat, das Gewebe unter der Haut absolut hunderprozentig identisch ist, zeigt keine biologischen Unterschiede. Mit der DNA-Forschung, die heute festgestellt hat, dass es keine Menschenrassen gibt, nur eine einzige: Homo Sapiens. Und dann gebe ich ihnen auf den Weg, dass es ist einfacher zueinander freundlich hilfsbereit zu sein, als feindlich sich bekämpfen. Welches Saldo welches Ergebnis ist für die Menschen leichter zu ertragen, als sich befeinden und zu bekämpfen im Namen von irgendwelchen Gedanken oder Überzeugungen."
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Am Freitag war er zum ersten Mal seit Ende seines Studiums wieder in Göttingen, um sein Buch "Die Versöhnung mit dem Bösen. Geschichte eines Weiterlebens" vorzustellen. Aber die Buchvorstellung war nicht der einzige Grund für Leon Weintraub Göttingen nach so langer Zeit zu besuchen:
O-Ton 3, Leon Weintraub, 50 Sekunden
"Der Anlass war, dass durch die Hilfe von Prof. Sascha Feuchert das Buch, das ich mit Magda Jaros geschrieben habe, hier in dieser Stadt, im Wallstein Verlag, veröffentlicht wurde. Und da war meine Bindung zu Göttingen so stark, aus mehreren Gründen, durch meine Frau Keta Hof Weintraub und mein Studium und vor allem diese tief empfundene Dankbarkeit, dass ich die Möglichkeit hatte hier in Göttingen Mensch zu werden nach den furchtbaren Erlebnissen und Überleben, das was man Holocaust nennt, diese Ergebnisse 13 Jahre währenden ʻtausendjährigen Reichesʼ."
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Obwohl Weintraub also eigentliche starke Bindungen an Göttingen hatte, blieb er nach dem Studium nicht in der Universitätsstadt. Er kehrte als Geburtsmediziner zurück nach Polen und wurde Oberarzt in einer Frauenklinik in Otwock. Der Antisemitismus verfolgte ihn aber auch in seinem Heimatland. Im März 1969 verlor er seine Anstellung, weil er Jude war. Noch im selben Jahr emigrierte er nach Schweden, wo er heute noch lebt. Ganz frei von Vorurteilen und Ausgrenzung war aber auch seine Zeit in Göttingen nicht. Nach antisemitschen Vorfällen gefragt fällt ihm folgende Anekdote ein:
O-Ton 4, Leon Weintraub, 96 Sekunden
"Nur ein einziges Mal, als in unserer Mensa, in der Stadtschenke Weender Str. von unserem polnischen Studentenhaus, ein Graf von [...] Bertovskiy in Gegenwart von den anderen Kommilitonen und fragte : "Wissen Sie, dass jemand Jude ist?" und da bin ich aufgestanden und habe gesagt‚ wenn Sie wissen, was Sie sagen, sind Sie ein Schurke, wissen Sie nicht, was Sie sagen, sind Sie einfach ein Idiot‛, mich hingesetzt. Wissen Sie, ich war auch so begrenzt muss ich sagen. Mein Ziel war, dass trotz allem die Schüler in der deutschen Schule Stockholm haben einen Film gemacht mit mir und betitelt "Trotz allem", dass ich trotz allem überlebt habe. Ich habe trotz allem bewältigt ein Studium, Arzt zu werden und trotz allem bin ich 97 Jahre geworden und ich habe keine Absicht mich zu verabschieden. Als sie mir im Mai diesen Jahres in Lodz ein Abendessen mich eingeladen haben und fing an nach polnischer Art „Stolat Stolat -100 Jahre“ bin ich aufgestanden, unterbrochen ganz aufgebracht und empört: „wie wagen Sie es mir nur noch zwei einhalb Jahre zu gönnen“. Haben sie sich verbessert und nach jiddischer Art [singt auf jiddisch] haben sie 120. Nicht übertreiben, erst Mal die drei Jahre, die folgen. Ich bin Reformist und kein Revolutionär. Revolutionen kosten zu Viel, aber Schritt für Schritt da erst Mal die nächsten drei Jahre und dann wollen wir weiter sehen."
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Auf die Frage ob er sich freue, nach all den Jahren wieder in Göttingen zu sein, der deutschen Stadt, in der er nach der Naziherrschaft gelebt hat und die eine wichtige Station in seinem Leben markierte, sagt Weintraub nur:
O-Ton 5, Leon Weintraub, 10 Sekunden
"Freude ist nicht der genaue Ausdruck. Ich fühle mich erhaben. Ich fühle mich gewürdigt und geehrt. Zwar nicht so gewöhnt an Aufmerksamkeiten, aber ich ertrage auch das, ich bin sehr zufrieden."
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