Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Nikita Makarov
Datum:
Dauer: 03:28 Minuten bisher gehört: 849
Reale Betrugsfälle und Netflix scheinen im Jahr 2022 ein gutes Duo zu sein. Nachdem die Dokumentation „Der Tinder-Schwindler“ für Aufmerksamkeit sorgte, legt Netflix mit „Inventing Anna“ einen weiteren Fall von Betrug in großem Stil nach. Diese Mini-Serie, die aus neun Folgen von jeweils ca. 60 Minuten besteht, basiert auf einem realen Fall, ist aber keine Dokumentation, sondern ein Drama-Serie. Die Hauptprotagonistin Anna Delvey, die eigentlich bürgerlich Anna Sorokina heißt, gibt vor, die Erbin eines deutsch-russischen Oligarchen zu sein. Mehr zu der Serie berichtet Ihnen Nikita Makarov.

Manuskript

Text

„Alles an dieser Geschichte ist real, außer die Dinge, die komplett ausgedacht sind“. Mit diesem Disclaimer beginnt die Serie „Inventing Anna“. Im ersten Moment wirkt das sehr verwirrend und wirft die Frage auf, ob das, was jetzt folgt, Realität oder Fiktion ist. Es ist eine Mischung. Denn die Story von Anna Delvey, die bürgerlich Anna Sorokina heißt, ist tatsächlich so geschehen. Aber vieles an dieser Frau ist nur ein Schein und war dazu da, ein Leben in Luxus genießen zu können, ohne Verantwortung zu übernehmen.

 

Anna Sorokina, gespielt von Julia Garner, ist die Tochter eines russischen Auswanderers und wächst in Eschweiler bei Aachen auf. Mit Mitte 20 wagt sie es, ein neues Leben zu beginnen, wandert aus nach New York und benennt sich um in Anna Delvey. Drei Jahre später sitzt sie wegen achtfachen Betruges in Untersuchungshaft und wartet auf ihren Prozess. Doch was ist dazwischen passiert? Diese Frage stellt sich auch die Journalistin Vivian Kent, dargestellt von Anna Chlumsky. Sie beginnt mit ihren Recherchen zu Anna. Dafür besucht sie Anna mehrmals im Gefängnis, um ein persönliches Interview zu bekommen. In der Redaktion wird sie von ihren Vorgesetzten für die Story nur belächelt und nicht Ernst genommen.

 

Doch ihre Recherchen decken auf, wie eine stinknormale Immigrantin aus Deutschland die gesamte High Society New Yorks betrügen konnte. Sie wohnte in Hotels, aß in noblen Restaurants und kaufte bei Shopping-Ausflügen Dinge, die sie eigentlich nicht bezahlen konnte. Das alles gelang ihr, weil sie verkaufen konnte, dass ihr Vater ein stinkreicher Oligarch ist und ihren Lifestyle ohne Probleme finanzieren kann. Selbst ein Kredit über 40 Millionen US-Dollar soll ihr bewilligt werden, damit sie ihre Stiftung finanzieren kann. Nach und nach betrügt sie auch alle ihre Freunde. Der Prozess kommt immer näher und ihre Chancen auf einen Freispruch sind eher gering. Aber Anna wäre nicht Anna, wenn sie nicht trotzdem voller Selbstbewusstsein dem Prozess entgegen schauen würde.

 

Die Serie stellt auf eine interessante Art und Weise dar, wie eine scheinbare graue Maus mehrere Banken und Prominenten hinters Licht führen kann. Die Story selbst sowie die Zeichnung der Charaktere sind wirklich gelungen. Problematisch wird es bei der Inszenierung von Anna Delvey. Die reale Anna, die übrigens nach zwei Jahren Haft wieder auf freiem Fuß ist, verkaufte persönlich die Filmrechte an ihrer Geschichte an Netflix. Entsprechend beeinflusst ist auch die Darstellung ihres Charakters. Anna wird zwar als Betrügerin und Verbrecherin gezeigt, allerdings verharmlost die Serie ihre Masche und verschweigt das Motiv, nämlich Habgier. Sie wird als eine Person dargestellt, die ohne böse Absichten und nur als Mittel zum Zweck, nämlich wegen ihrer Stiftung, alle um sich herum betrügt. Das entspricht aber natürlich nicht den realen Ereignissen.

 

Alles in Allem ist die Serie „Inventing Anna“ gut gelungen und unterhält auch durchgängig über die neun Folgen hinweg. Allerdings sollte im Hinterkopf bleiben, dass die Serie zur Selbstdarstellung der realen Person Anna Sorokina dient. Nichtsdestotrotz zeigt die Serie aber einen spannenden und aufschlussreichen Betrugsfall. Dazu lässt die Serie in Form des Charakters Vivian Kent, die in der Realität von der Journalistin Jessica Pressler inspiriert ist, Einblicke in die investigative Arbeit von Journalisten zu. Wer also an wahren Wirtschaftsverbrechen interessiert ist, der wird mit dieser Serie auf seine Kosten kommen.