Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Charline Rekewitsch
Datum:
Dauer: 03:55 Minuten bisher gehört: 163
Jetzt, wo die Tage wieder kühler werden, zieht man sich abends immer mehr auf das gemütliche Sofa zurück. Meistens mit einem guten Film. Doch den Abend immer mit einem Film ausklingen zu lassen, kann auf Dauer langweilig werden. Wie wäre es dann mal mit einem Buch, das sich mit seiner geheimnisvollen Atmosphäre gut in diese Zeit einfügt? Die Fantasy-Geschichte „Der Nachtzirkus“ von Erin Morgenstern kann ein solches Buch sein. Doch ob sich das Buch auch lohnt, das können Sie jetzt in einem Beitrag von Charline Rekewitsch erfahren, der von Annika Quentin eingesprochen wurde.

Manuskript

Text

Ich möchte direkt mit einem Zitat aus dem Roman beginnen:

Der Zirkus kommt überraschend. Es gibt keine Ankündigung, keine Reklametafeln oder Plakate an Litfaßsäulen, keine Artikel und Zeitungsanzeigen, Plötzlich ist er da, wie aus dem Nichts.“

 

Als Celia nach dem Tod ihrer Mutter zu ihrem unbekannten Vater, den Magier Prospero zieht, wird sie ein Teil der geheimnisvollen Welt des Zirkus. Denn genauso wie ihr Vater verfügt auch sie über magische Fähigkeiten. Daher soll sie nun für ihn in einem Wettstreit gegen seinen Kontrahenten Magier Alexander antreten. Für diesen tritt wiederum der Waise Marco an. Der Auftragsort für das Spiel ist der Nachtzirkus, wo die beiden auch zum aller ersten Mal aufeinandertreffen. Doch durch diese Begegnung geschieht etwas, dass den tödlichen Plan des Spiels erheblich erschwert: Sie verlieben sich ineinander.

 

Bei der Nachtzirkus handelt es sich um einen Roman, der allen voran mit seinem bildgewandten und poetischen Schreibstil überzeugen kann. Er ist angenehm zu lesen und führt mit seinen detaillierten Beschreibungen dazu, dass die Fantasie der Lesenden nicht unangeregt bleibt. Trotzdem führt er auch zu einer gewissen Komplexität, die es den Lesenden nicht leicht macht, das Buch schnell zu verschlingen. Vielmehr braucht es seine Zeit, damit Leser und Leserinnen alle Eindrücken aus dem Buch aufnehmen können. Auch führen die langen Beschreibungen von Handlungsorten, der Welt und den Figuren dazu, dass es an einigen Stellen etwas langatmig wird. Allerdings macht die Tatsache, dass nicht nur Celia und Marco im Fokus der Geschichte stehen, sondern auch jede Nebenfigur ihren eigenen Raum geschenkt bekommt, diese Schwäche wieder weg. Die Komplexität verdankt die Geschichte an dieser Stelle, den vielen Figuren und den dazugehörigen Handlungssträngen. So begleiten wir zum einen die Gründergruppe zu ihrem legendären Mitternachts-Dinner und zum anderen lernen wir den Jungen Bailey und die Zwillinge Poppet und Widget kennen, die ebenfalls über eine besondere Gabe verfügen. So kann Poppet die Zukunft durch die Sterne erkennen, während ihr Bruder die Macht besitzt, die Vergangenheit von anderen Menschen zu lesen. Zu Beginn sind die Handlungsstränge einzelne Puzzelstücke, die sich zum Ende immer mehr zusammenfügen und zu einem gemeinsamen Bild werden.

 

Die Liebesgeschichte zwischen Celia und Marco wird in kleinen Schritten aufgebaut, sodass sie nicht zu schnell geschieht und unauthentisch wirkt. Stattdessen erleben wir wie ihre Liebe durch kleine Begegnungen und kleinen Gesten der Zuneigung immer mehr wächst. Allerdings wird der große Höhepunkt durch die vielen Zeitsprünge auseinandergezerrt und dadurch in wenigen Sätzen abgehandelt. Allgemein fand ich, dass mit der Zeit ihre Geschichte ein wenig untergegangen ist und durchaus noch mehr im Fokus hätte stehen können, da sie vor allem mit der Thematik rund um den Wettstreit, der nur mit dem Tod enden kann, ein Teil zur Spannung beitrug. Eine Besonderheit von dem Buch ist zudem, dass es neben den normalen Kapiteln auch Artikel von Rêveurs, fiktive Zitate und Passagen aus der Sicht des Lesenden besitzt. Bei diesen Sichten aus der Du-Perspektive nimmt der Lesende die Hauptrolle ein und fühlt sich dabei so, als würde er dem Zirkus aus dem 19. Jahrhundert wirklich einen Besuch abstatten.

 

Durch seine Komplexität und seinen stellenweise langatmigen Passagen ist das Buch allerdings nicht für jeden etwas. Doch diejenigen, die sich darauf einlassen können, sehen schon bald dass Der Nachtzirkus vielmehr ist als die Liebesgeschichte und der tödliche Wettstreit zwischen Celia und Marco. Denn es ist der Zirkus selbst, der sich in den Vordergrund rückt und seine eigene Geschichte zu erzählen hat. Zusammen mit all den Figuren, die ein Teil von ihm sind.