Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Tina Fibiger
Datum:
Dauer: 05:24 Minuten bisher gehört: 156
Tina Fibiger war für uns bei der Wiederaufnahme von "Frühstück bei Tiffany" bei den Bad Gandersheimer Domfestspielen dabei. Für uns stellt sie das Stück vor: Es ist alles so wie damals mit dem nächtlichen Poltern und dem stürmischen Geklingel, weil Holly Golithly mal wieder ihren Schlüssel vergessen hat. Das könnte jetzt der erste große Auftritt für die junge Frau sein, deren Geschichte sich Truman Capote in seinem Roman „Frühstück bei Tiffany“ widmet. Doch es ist Jan Kämmerer, der bei den Gandersheimer Domfestspielen auf der Bühne im Probenzentrum wieder einen kleinen Koffer abstellt und keine Nachtschwämerin im kleinen Schwarzen. So wie Capote einen jungen Schriftsteller von der Begegnung mit einer hinreißenden Unruhestifterin erzählen lässt, nimmt auch die Inszenierung von Linda Riebau die Erinnerungsspuren des Chronisten auf. Und wieder wird Schauspieler Jan Kämmerer zum Verwandlungskünstler und bei der Wiederaufnahme der Festspielproduktion vom vergangenen Sommer stürmisch gefeiert.

Manuskript

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Der Bühnenraum lässt an ein Stillleben denken, in dem sich Erinnerungsspuren angesammelt haben. An der Garderobe hängen Handtasche, Perlenkette und Sonnenbrille, weil sie in mehreren Episoden eine Rolle spielen, genauso wie das Plüschpferd auf der Anrichte oder das Bett, dass mit seidigem Glanz veredelt wurde. Auf dem Tisch halten die Bleistifte im Glas die Stellung, bis sie als Zigarettenspitzen zum Einsatz kommen. Das Fenster an der Bühnenrückwand lässt mit der symbolischen Feuerleiter wie auf einen Fluchtweg für Holly blicken. Die markiert zugleich ihre Aufstiegsträume mit den Absturzgefahren. Noch muss sich das wortgewandte Glamourgirl für alles und jeden prostituieren, aber es ist ihre Show und davon wird sie niemand abhalten. Jan Kämmerer wird immer wieder nach einem Requisit greifen und sich dann mit dem Martiniglas an eine turbulente Nacht erinnern, als Hollys vorübergehende Mitbewohnerin mal wieder aus der Rolle fiel. Dann nimmt seine Stimme einen schrillen Tonfall an; anders als bei den vielen älteren Galanen, die ständig klingelten und ihr eine lukrative Zukunft versprachen.

 

O-Ton 2, Einspieler, „Frühstück bei Tiffany“, 28 Sekunden

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Mit den Erinnerungen an Holly wird sich der Schauspieler auch im Schaufenster von Tiffany mit ihr spiegeln, weil dort Glanz und Glamour und Wohlstandstand so souverän zur Schau gestellt werden. Er wird mit ihr einen wilden Ritt durch New York riskieren, ihr Mafia-Fiasko abmildern und auch ihren Ehemann mit dieser Geschichte von Hollys armseligen Überlebenskämpfen in die Flucht schlagen. Hat Jan Kämmerer zunächst noch einen charmant ironischen Tonfall, wenn er Holly mit ihren markanten Sprüchen und ihrem unbeirrbaren Lebenswillen zu Wort kommen lässt, überlässt er ihr schon bald seine reflektierende Stimme und vertieft sich so auch in eine ganz besondere Beziehung, wie sie Truman Capote in seinem Roman befragt.

 

O-Ton 3, Einspieler, „Frühstück bei Tiffany“, 37 Sekunden

 

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Der Hollywood-Romantisierung, in der Audrey Hepburn als liebenswerte Streunerin mit einem Happy End bedacht wurde, verweigert sich dieser Theaterabend mit „Frühstück bei Tiffany“. Erzählt wird vor allem die Geschichte einer Freundschaft ohne Wenn und Aber, die Turbulenzen, Widersprüche und Irritationen aushält und dabei immer mehr auflebt. Es geht um Vertrauen und die Momente von Nähe, wo niemand Glücksversprechungen machen muss. Illusionen dürfen dann so lange beflügeln, wie ihre befreiende Wirkung anhält.

 

O-Ton 4, Einspieler, „Frühstück bei Tiffany”, 32 Sekunden

 

Text

Diese Holly wird auch in Brasilien auf einen lukrativen Sponsor und materielle Sicherheit setzen und nicht auf riskante Gefühlsstürme, während der Chronist ihrer gemeinsamen Zeit etwas über sich selbst begreift und wie sehr er sich in seiner herrlich skurrilen Nachbarin wiedergefunden hat. In der Figur des jungen Schriftstellers man sich Truman Capote in seiner Homosexualität widerspiegeln. Aber wenn Jan Kämmerer zu Lippenstift und Rouge greift, nach einer Perücke im Stil von Hollys frechem Kurzhaarschnitt und sich dann in Seide hüllt, verwandelt er sich am Ende vor allem in einen Erinnerungschronisten, der für den Moment ganz bei sich ist und das auch endlich liebevoll. Auch dafür umarmt ihn sein Publikum im Probenzentrum der Gandersheimer Domfestspiele mit Standing Ovations.