Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Jeanine Rudat
Datum:
Dauer: 04:34 Minuten bisher gehört: 108
26 Jahre alt wird das StadtRadio Göttingen am 1. April. Am selben Tag, aber bereits 1924, ging auch die Südwestdeutsche Rundfunkdienst AG zum ersten Mal auf Sendung - später umbenannt in Hessischer Rundfunk. Charakteristisch ist sein Gebäude: Das Funkhaus am Dornbusch. Der historische Rundbau, der 1949 errichtet wurde, war ursprünglich als Plenarsaal für den künftigen Deutschen Bundestag gedacht. Doch dann wurde das beschauliche Bonn zur Hauptstadt gekürt und Anfang der 50er Jahre zog der HR ein. Und zu der spannenden Nachkriegszeit spielt auch der 2. Band von Eva Wagendorfers Historien-Saga „Die Radioschwestern“. In „Melodien einer neuen Welt“ erzählt sie die Geschichte von drei Freundinnen, die helfen, den Hörfunk in Frankfurt nach dem Krieg wieder neu aufzubauen. Mehr darüber erfahren Sie jetzt von Jeanine Rudat.

Eva Wagendorfer - Die Radioschwestern 2 (Bild: Penguin Verlag)

Manuskript

Text

Frankfurt in den 50er Jahren: amerikanische GIs und Rock’n‘Roll – Elvis kam zwar erst 1958 nach Deutschland, aber heute hat man das Gefühl, dass die gesamten 50er Jahre von Aufbruch, jugendlicher Rebellion und Wirtschaftswunder geprägt waren, dass Deutschland in eine neue Zeit getanzt ist. Doch so einfach war es direkt nach dem Krieg nicht, wie Autorin Eva Wagendorfer im 2. Band ihrer historischen Radioschwestern-Saga „Melodien einer neuen Welt“ beschreibt. Ihr neuster Roman beginnt 1945, direkt nach Kriegsende. Die drei Freundinnen, die in den 20er Jahren noch so voller Hoffnung auf eine rosige Zukunft waren, haben 20 Jahre später mit den Folgen von Hitlers Wahn zu kämpfen. Die ehemalige Hörspiel- und Nachrichtensprecherin Gesa wartet sehnsüchtig auf ein Lebenszeichen ihrer großen Liebe Albert. Dem ehemaligen Intendanten des Senders und Vater ihrer zwei Kinder wurde während der NS-Zeit als Halbjude gekündigt und noch im März 1945 zum Volkssturm nach Berlin gerufen. Seitdem ist er verschollen und sie hält sich ohne Job gerade so über Wasser, indem ihre Freundin Margot sie mit Essen versorgt. Die ehemalige Cellistin im Rundfunkorchester ist mit ihrem Mann Fritz zu ihrer Cousine nach Königstein gezogen, da ihr Haus zerbombt wurde. Auch sie hat es nicht leicht. Ihr Sohn ist mit einem kaputten Bein aus dem Krieg heimgekehrt, ihre Tochter sehr anhänglich und ihr Mann depressiv, seit er seinen Sportreporterjob verloren hat, da ihn die Amerikaner mit einem zweijährigen Berufsverbot versehen haben, da er auch unter den Nazis weitergearbeitet und wichtige Positionen im Rundfunk innehatte, obwohl er unpolitisch war. Und die lebenslustige Sängerin Inge? Sie wohnt nach der Zerstörung ihrer Wohnung bei Gesa und weiß ebenfalls nicht, wie es beruflich weitergehen soll. Zu viele ehemalige Klubs, wo Musikkombos aufgetreten sind, sind zerstört. Und die Menschen eher mit der Beschaffung von Heizmaterial und Essen beschäftigt. Doch zumindest Gesa und Margot haben Glück – ihre Bewerbung für Radio Frankfurt klappt und obwohl der Sender nun unter amerikanischer Kontrolle steht, ist es eine echte Chance für die beiden Frauen, ihren Traum von der großen Karriere endlich wahr werden zu lassen. Als sie endlich in ihren ehemaligen Positionen wieder Fuß gefasst haben, holen sie auch Inge wieder zurück zum Radio – als neue Leiterin der Kinderfunkabteilung. Im provisorischen Studio in Königstein sprechen sie im Badezimmer ihre Texte ein. Als die neue Generation in die Unterhaltungsbranche drängt und ihnen die Stellung streitig machen will, kämpfen die Radioschwestern gemeinsam um ihre Zukunft, die Liebe und ihr Glück ... Drei Freundinnen, die trotz aller Widrigkeiten das Leben und die Liebe feiern – so könnte man den neuesten Band von Wagendorfers Radiosaga zusammenfassen. Wieder einmal schafft sie es, die Geschichte des Frankfurter Rundfunks, inklusive einiger Anekdoten aus Berlin, mit der Gesamtgeschichte Deutschlands in Zeiten des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkriegs gekonnt zu verknüpfen. Nichts ist einfach in der Zeit. Überall in Frankfurt liegen Trümmer, es werden täglich Leichen aus den zerbombten Gebäuden geborgen, aus zu klein gewordenen Pullovern ihrer Kinder werden neue Schals gestrickt, Ehemänner und Söhne kommen traumatisiert aus dem Krieg wieder, ihre Frauen müssen sowohl die Familien ernähren, dürfen aber nichts ohne das Einverständnis ihre Ehemannes tun, wie auch Margot bemerkt, als sie lieber Jazz spielen will, als Klassik. Eindrucksvoll schildert Wagendorfer, wie die Menschen sich zu der Zeit im hessischen Frankfurt gefühlt haben. Wie Frauen verachtet wurden, die mit GI´s ausgingen, um an Lebensmittel für ihre Kinder zu kommen, wie Menschen in den harten Wintern erfroren sind und wie es Frauen, nach dem Aufbruch in den 20er Jahren, wieder schwerer gemacht wurde – beruflich und privat. Die neue Biederkeit zog ein in deutsche Wohnzimmer. Das gibt Wagendorfer auch in den vielen Radionachrichten wieder, die sie den Kapiteln vorangestellt hat. 1955 zum Beispiel verbot der DFB Frauenfußball – aus Sorge um das leibliche Wohl der Kickerinnen, die männlichen Radioreporter vergriffen sich nur zu oft im Ton und sprachen von wackeligen Busen oder fehlender Anmut. Gleichzeitig gab es auch eine Gegenbewegung, die Wagendorfer zeigt – mit Radiopionierin Fränze oder Dr. Gabriele Strecker, Ärztin und Leiterin des Frauenfunks Frankfurt, der Damen über die neue Rolle der Frau in der Nachkriegsgesellschaft und ihr verändertes Verhältnis zur Männerwelt diskutieren ließ. Spannung, Herzschmerz, die Magie von Freundschaft und die Verknüpfung von historischen- und Romanfiguren macht „Die Radioschwestern – Melodien einer neuen Welt“ zu einem Pageturner, den man nicht verpassen sollte – ob Radioliebhaber:innen oder Historienfans.