Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Jeanine Rudat
Datum:
Dauer: 03:05 Minuten bisher gehört: 228
Bei uns im StadtRadio hören Sie von 7 bis 10 und 16 bis 18 Uhr immer zur vollen Stunde die neusten Nachrichten aus der Region. Jetzt stellen Sie sich vor, dass der Moderator oder die Moderatorin nicht das heutige, sondern das morgige Datum nennt und berichtet, was sich am nächsten Tag ereignet hat. Sie wären zurecht verwirrt. Wenn die Stimme aus dem Radio dann auch noch von einem Mord erzählt, was würden Sie tun? Ihn verhindern? Diese Frage stellt sich auch die Protagonistin des Thrillers „Escape Time“ von Chris McGeorge. Jeanine Rudat stellt Ihnen das Buch vor.

Chris McGeorge - Escape Time (Bild: Knaur Verlag)

Manuskript

Text

Shirley Steadman ist über 70 und hat schon einiges hinter sich. Einen Ehemann, der sie ständig unterdrückte und psychisch terrorisierte, eine Tochter, die sie dauernd bevormundet und wie eine alte Frau behandelt und einen Sohn, der sich nach seinem Outing während seiner Arbeit bei der Royal Navy das Leben genommen hat. Daneben wirken ihre körperlichen Einschränkungen fast harmlos. Trotzdem hasst sie es ihren Stock zu benutzen und abends ihre Hände in warme Waschlappen stecken zu müssen, damit die alten Knochen nicht so schmerzen. Abwechslung bringen ihr ihre eigenwillige Katze Moggins, ihre Stickgruppe und ihre ehrenamtliche Arbeit beim Krankenhausfunk. Einmal pro Woche erfüllt die Rentnerin den Patient:innen dort Musikwünsche via Hausradio. Sie liebt die Gespräche mit den Kranken und die Arbeit am Mikrofon. Eines Abends, als sie ihre Sendung vorbereitet, entdeckt sie beim Durchschalten einen Radiosender, der lokale Nachrichten bringt. Die Stimme ist verzerrt, man kann nicht erkennen, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelt. Aber die Person moderiert witzig und spannend. Doch plötzlich stutzt die 70-Jährige: Die lokalen Nachrichten, darunter harmlose Unfälle, haben das Datum von morgen! Erst denkt Shirley noch, dem Piratensender, den sie zufällig entdeckt hat, sei ein Fehler unterlaufen. Doch am nächsten Tag ereignet sich alles exakt wie gemeldet. Der Bäcker fiel beim Aufhängen eines Schildes von der Leiter, wie sie bei einem Besuch anschließend dort von der Aushilfe erfährt. Kann es wirklich sein, dass jemand die Zukunft vorhersieht? Shirley will es genau wissen und beobachtet am nächsten Tag, wie wirklich der Milchlaster umkippt, wie am Tag zuvor im Radio gehört. Niemand ist verletzt, aber Shirley extrem verwirrt. Soll sie der Stimme aus dem Radio glauben? Oder wird sie, die hin und wieder mit ihrem toten Sohn spricht, den sie fast jeden Tag am Küchentisch sieht, langsam verrückt? Fasziniert und beunruhigt zugleich schaltet Shirley den Sender immer häufiger ein. Doch die nächste Nachricht ist nicht mehr so harmlos, wie die anderen zuvor: Es soll ein Mord geschehen sein. Und Shirley ist mit ihrem Wissen die Einzige, die ihn verhindern kann. Kann sie der Zukunft entkommen?

 

Was würde man tun, wenn man im Radio hören würde, dass morgen ein Mord geschehen ist? Trickreich spielt der britische Thriller-Autor Chris McGeorge mit der Frage, was passiert, wenn jemand die Zukunft vorhersagt: Scheinbar unerklärliche Ereignisse und einige Twists erzeugen einen Sog, der einen immer tiefer in den Roman hineinzieht und einen atemlos die Seiten umblättern lässt, bis zum fulminanten Showdown. Eine positive Überraschung ist die 70-jährige Hauptprotagonistin. Kauzig und eigenwillig geht sie ihren Weg und das ist im Gegensatz zu den sonstigen jungen, starken und schönen Thrillercharakteren eine erfrischende Überraschung. Auch ihre Stickgruppe mit anderen älteren Damen regt zum Schmunzeln an. Rätselhaft, raffiniert und hochspannend: Wie auch in seinen anderen Escape-Thrillern schafft es McGeorge auch hier einen Pageturner zu kreieren, der einen von Beginn an mitreißt. Lediglich ein paar Logikfehler, die bei der Auflösung der Geschichte das Licht der Welt erblicken, trüben das Lesevergnügen. Aber Shirley, das Radiothema und der Wettlauf gegen die Zeit machen das mehr als wett.