Rezension: „Liebes Kind“ – Ein fesselnder Psychothriller
Sendung: | Mittendrin Redaktion |
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AutorIn: | Annika Quentin |
Datum: | |
Dauer: | 03:35 Minuten bisher gehört: 160 |
Manuskript
Rezension
Die meisten Psychothriller beginnen damit, dass ein Opfer in die Gewalt eines Täters gelangt. Von da an spannt sich eine Geschichte von Gefangenschaft und anderen Grausamkeiten, die mit der Befreiung des Opfers und der Bestrafung des Täters endet. Die von Netflix produzierte und auf dem gleichnamigen Roman von Romy Hausmann basierende Serie „Liebes Kind“ wählt einen anderen Ansatz. Die sechsteilige Miniserie beginnt damit, dass eine Frau und ein Mädchen sich aus der Gewalt eines unbekannten Mannes befreien. Sie laufen aus einem Haus, das lange Zeit ihr Gefängnis war, durch einen dunklen Wald und erreichen eine Straße. Dort wird die Frau von einem Auto angefahren und daraufhin zusammen mit der kleinen Hannah ins Krankenhaus gebracht. Was eigentlich das Ende des Terrors sein sollte, entpuppt sich als Beginn einer furchtbaren Geschichte.
Im Krankenhaus bekommen die Ärzt*innen und Pfleger*innen nicht viel aus Hannah heraus. Während es ihrer Mama sehr schlecht geht, soll sie helfen, die Hintergründe der Familie zu klären. Doch die wenigen Aussagen, die sie macht, und ihr Verhalten erschrecken das Personal des Krankenhauses. Schnell wird klar, dass es sich bei den beiden nicht um eine normale Familie handelt, sondern die Familie isoliert und von einem Psychopathen eingesperrt lebte. Und es kommt heraus, dass neben dem Vater der Familie, dem vermutlichen Täter, noch jemand fehlt: Der kleine Jonathan ist im Haus zurückgeblieben.
Im Folgenden begleiten wir Beamte der Polizei bei ihren Versuchen, die ganze Geschichte aufzuklären. Doch die ist verworrener als vorher vermutet. Die Frau und das Mädchen scheinen immer noch von dem Täter beeinflusst zu werden. Sie wurden so stark manipuliert, dass sie gar nicht wirklich helfen können. Und auch die Polizeibeamten kämpfen gegen eigene Dämonen.
Die Serie ist sehr spannend und absolut fesselnd. Besonders gut gemacht finde ich, dass die ganze Zeit eine unheimliche Atmosphäre herrscht und man einfach nicht wegschauen kann. Nachdem man mehr über die Vergangenheit der Opfer erfahren hat, stellt sich natürlich die Frage, wer ihnen das angetan hat. Dadurch, dass das Gesicht des Täters nie gezeigt wird, entspannen sich alle möglichen Theorien in den Köpfen der Zuschauer*innen. So gut wie jeder männliche Charakter wirkt an irgendeinem Punkt verdächtig. Durch zahlreiche Wendungen wird der Verdacht immer wieder auf jemanden anders gelenkt. Dabei geraten Kategorien wie „Täter“ und „Opfer“ ins Wanken. Selbst die kleine Hannah, die aussieht wie ein Engel, scheint unberechenbare, fast schon böse Seiten zu haben. Auch der Gegensatz von Freiheit und Gefangenschaft wird immer unschärfer. Wieso wollen die Opfer freiwillig in die Gefangenschaft zurückkehren? Oder sind sie, obwohl sie physisch frei sind, vielleicht immer noch gefangen? Und wie geht man mit der Freiheit um, wenn man sie lange nicht genoss oder gar nie kannte?
Bei all der Spannung, die die Serie aufbaut, ist sie nie effekthascherisch. Die Charaktere wirken größtenteils sehr authentisch menschlich. Auch visuell wird den Zusehenden einiges geboten. Mein einziger Kritikpunkt ist die Auflösung, zu der an dieser Stelle nicht mehr gesagt werden kann, ohne zu spoilern. Das tut der ansonsten über weite Strecken düsteren, von bedrückter Stimmung bestimmten Serie aber keinen großen Abbruch. Wenn Sie mal wieder einen Psychothriller mit beklemmender Atmosphäre und vielen unerwarteten Plot-Twists sehen möchten, kann ich „Liebes Kind“ nur empfehlen.
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