„Schabowskis Zettel“ – Eine Doku über die Nacht als die Mauer fiel
Sendung: | Mittendrin Redaktion |
---|---|
AutorIn: | Carlotta Frey |
Datum: | |
Dauer: | 06:57 Minuten bisher gehört: 39 |
Manuskript
Text:
Die Nacht des Mauerfalls – ein Ereignis, was selbst nach inzwischen über 30 Jahren nicht an Relevanz und Faszination verloren hat. Außergewöhnlich berührend und gleichzeitig sehr informativ haben es Marc Brasse und Florian Huber geschafft, zum 20-jährigen Jubiläum des Mauerfalls 2009 eine Dokumentation auf die Beine zu stellen, die noch heute eine absolute Empfehlung in der Dokuwelt ist.
Die Doku „Schabowskis Zettel – Die Nacht als die Mauer fiel“ erzählt die 24 Stunden ab dem Morgen des 9. November bis in den Morgen des 10. November aus der Sicht ganz verschiedener Personen. Neben dem Namensgeber der Doku Günter Schabowski, kommen auch Gerhard Lauter und andere hochrangige Politiker der damaligen Zeit aus dem Osten und Westen Deutschlands zu Wort. Gerhard Lauter, der damals im DDR-Innenministerium Abteilungsleiter für Pass- und Meldewesen war, ist der Verfasser des berühmten Zettels, den Schabowski in der entscheidenden Pressekonferenz am 9. November 1989 vorlas.
„Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Vorraussetzungen, Reiseanlässen und Verwandtschaftverhältnissen beantragt werden. Die Genehmigung werden kurzfristig erteilt.“
„Das trifft nach meiner Erkenntnis, ist das sofort – unverzüglich“
Doch auch wichtige Pressevertreter der deutschen und amerikanischen Berichterstattung sowie zahlreiche Einwohner Ost- und Westberlins dürfen ihre Geschichte erzählen.
Der rote Faden der Doku ist das Dokument, das als „Schabowskis Zettel“ bekannt geworden ist. Der Weg dieses Dokuments, das die Ausreisegenehmigung der DDR-Bürger neu regeln sollte, wird vom Verfassen über die vielen Konferenzen bis zur Verlesung in der Pressekonferenz verfolgt. Dabei wird deutlich, welche Probleme, Zufälle und Missverständnisse es auf dem Weg dieses Zettels gab und warum Schabowski und die anderen Führungspersonen genau so gehandelt haben, wie es letztendlich gekommen ist.
Eine große Rolle spielt in der Doku Harald Jäger, ein DDR-Oberstleutnant, der am Abend des Mauerfalls Dienst im Grenzposten „Bornholmer Straße“ hatte. Jäger hat mehrmals an dem Abend entschieden, gegen den Befehl seiner Vorgesetzten und mit Menschlichkeit zu agieren. So erzählt Jäger in der Doku:
Zitat Harald Jäger – nachgesprochen von Nikita Makarov:
„Dann kam ein Anruf von Posten 1, also von der Brücke oben. Der teilte mir mit, dass ein junges Ehepaar wieder einreisen möchte und die Frau hat den Passkontrollstempel auf dem Lichtbild drauf. Da sag ich ´ja und´. Er antwortete, ´ja, die haben ihre Kinder zuhause´.
Ein Stempel auf dem Lichtbild zu haben, bedeutete an diesem Abend, dass man ausgebürgert wurde, ohne dass die Grenzposten die Betroffenen darüber informierten. Dies war ein Befehl des Vorgesetzten Jägers, um die Lage in den Grenzübergangen unter Kontrolle zu bekommen. Es sollte die Menschen abschrecken, wenn Sie erfahren, dass einige Bürger nicht wieder einreisen dürfen. Doch Jäger wird an dem Abend von seinen Vorgesetzten in den entscheidenden Situationen verhöhnt und alleinegelassen.
Zitat Harald Jäger – nachgesprochen von Nikita Makarov:
„Ich habe sie dann einreisen lassen und habe angewiesen,´ Es gilt nicht mehr diese Maßnahme. Es können alle DDR-Bürger, egal ob der Passkontrollstempel auf dem Lichtbild ist oder nicht, wieder einreisen´. Mir war da zu diesem Zeitpunkt einfach alles wurscht egal. Ich war dann trotzig. Ich hatte so eine richtige Wut im Bauch. Das alles zusammen war dann das Motiv des Handeln, dass ich gesagt habe, jetzt reicht es mir. Jetzt entscheidest du auf eigene Faust. Ich habe angewiesen,den Schlagbaum zu öffnen und alle DDR-Bürger ausreisen zu lassen ohne Kontrolle.“
23:29 Uhr ist es zu dem Zeitpunkt. Jäger teilt die Öffnung seines Grenzüberganges den anderen Berliner Grenzübergängen mit. Die Grenze ist offen. Tausende Menschen strömen von Ostberlin nach Westberlin und feiern ihre neue Freiheit.
Zitat Harald Jäger – nachgesprochen von Nikita Makarov:
„Ich bin danach in die alte Baracke gegangen und wollte meinen Tränen freien Lauf lassen. Ich musste mit mir selbst sein in dem Moment. Es war das schrecklichste und das schönste, was ich erlebt habe. Und alles beides zur gleichen Zeit. Da musste ich erstmal alleine sein, aber ich hatte Pech gehabt. Denn in der Baracke stand schon ein Hauptmann, der geweint hat und da konnte ich mich ja schlecht dazustellen.“
Gerade diese persönlichen und selbst erzählte Geschichten machen die Doku zu etwas ganz besonderem. Alle Akteure erzählen in Interviews ihren persönlichen Tagesablauf vom 9. November 1989. Zusammen ergibt sich daraus ein Gesamtbild, das die Gedanken und Hintergründe der Menschen zeigt, die an dem entscheidenden Tag bestimmte Entscheidungen getroffen haben. Entscheidungen, die zusammen mit einigen Zufällen und Missverständnissen am Ende zum Fall der Berliner Mauer führten.
Die Interviewszenen der Menschen sind abwechslungsreich mit echten Telefonmitschnitten, Redemitschnitten, Funkgesprächen und Fernsehbildern zusammengeschnitten, sodass der Zuschauer tief in die Situationen hineinversetzt wird. Gerade die Kraft der Bilder und die persönlichen, selbst erzählten Geschichten dieser Menschen sorgen dafür, dass die Doku wahnsinnig berührend und tiefgründig ist.
Etwas schade ist, dass nur die Ereignisse in Berlin gezeigt werden und nicht zumindest kurz auf die Ereignisse an der innerdeutschen Grenze außerhalb Berlins eingegangen wird. Doch hat diese Lokalität auch den Vorteil, dass man sich als Zuschauer noch mehr nach Berlin im Jahre 1989 versetzt fühlt, da eben keine großen Ortswechsel stattfinden.
Doch was diese Doku mit am meisten auszeichnet, ist, dass sie nicht bei der Öffnung der ersten Grenzanlage aufhört, so wie das bei den meisten anderen Berichten über den Mauerfall der Fall ist. Die Doku zeigt auch, wie sich die Ereignisse nach der Verlesung des Zettels und nach der Öffnung der Grenzanlange „Bornholmer Straße“ überschlagen.
Die Doku wird besonders spannend und mitreißend durch die verschiedenen Perspektiven, die dem Zuschauer beim Gucken eröffnet werden. So betiteln einige der Akteure die Ereignisse rund um den Mauerfall als peinlich und unprofessionell, während andere den Mauerfall als Wunder beschreiben.
Auf jeden Fall ist die Dokumentation „Schabowskis Zettel – Die Nacht als die Mauer fiel“ eine absolute Empfehlung, die es schafft, so ein bekanntes Ereignis wie den Mauerfall noch einmal völlig neu zu verfilmen und dem Zuschauer neue Perspektiven auf das ganze Geschehen zu eröffnen. Die Doku ist zutiefst berührend und ergreifend, sodass am Ende kein Auge trocken bleiben wird. Sie können sich die Doku aktuell nur in der ARD-Mediathek ansehen.
Zur Verfügung gestellt vom StadtRadio Göttingen
Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für private Zwecke benutzt werden. Jede andere Verwendung (z.B. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Bearbeitung, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung der Autorin bzw. des Autors zulässig. Die Verwendung für Rundfunkzwecke bedarf der Genehmigung des StadtRadio Göttingen.