Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Mailin Matthies
Datum:
Dauer: 05:13 Minuten bisher gehört: 156
Archäologie – da denken wir wahrscheinlich an Bilder von alten ägyptischen Pyramiden und Gräbern, an antike Vasen oder an gefundene Dinosauerierknochen. An Göttingen denken da nur wenige. Aber auch hier gibt es archäologische Grabungen. Was es damit auf sich hat, zeigt eine Sonderausstellung im Städtischen Museum in Göttingen. Mailin Matthies hat sich im Museum umgeschaut und mit zwei Kuratorinnen der Ausstellung gesprochen.

Manuskript

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Ob auf dem Wochenmarkt oder auf der aktuellen Baustelle des Gothaer Haus an der Weender Straße: Archäologische Grabungen gibt es in Göttingen öfter, als viele wissen. Auf dem Wochenmarkt konnten Interessierte vergangenen Sommer beobachten, wie Archäolog:innen Überreste und Hinweise auf alte Häuser ausgruben. Am Gothaer Haus wiederum wurden Überbleibsel aus der Jungsteinzeit gefunden. Diese und noch weitere Funde stellt das Städtische Museum momentan in der Sonderausstellung „Unter uns“ aus. Museumsleiterin und Kuratorin der Ausstellung, Andrea Rechenberg, erklärt, woher der Name der Ausstellung kommt:

 

O-Ton 1, Andrea Rechenberg, 34 Sekunden

Göttingen ist ja eine sehr alte Stadt, und wenn man gerade im Stadtkern, also innerhalb des Walles, sich bewegt und durch die Straßen geht, läuft man auch auf ganz vielen Kulturschichten. Vom frühsten Mittelalter bis in die frühe Neuzeit rein haben hier Menschen gelebt, Sachen weggeschmissen, sind gestorben, sind beerdigt worden, und das mal so zu verdeutlichen, bzw. sich das ins Bewusstsein zu holen, dass die Geschichte ja auch immer noch da ist, und man muss sie ja eigentlich nur ergraben, und was für ein geschichtsträchtiger Ort Göttingen ist, das wollten wir mit diesem Titel „Unter uns“ gleich transportieren.“

 

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Die Ausstellung findet in Kooperation mit der Stadtarchäologie sowie der Anthropologie der Uni Göttingen statt. Ein Fokus liege auch darauf, zu zeigen, wie die Stadtarchäologin Betty Arndt arbeite und wie die Funde letztendlich ausgewertet werden, so Iris Olszok. Olszok ist wissenschaftliche Volontärin im Städtischen Museum und ebenfalls Kuratorin der Ausstellung. Um zu zeigen, wie die Arbeit der Stadtarchäologie funktioniert, stellt das Museum einen nachgebauten Arbeitstisch der Stadtarchäologie aus. Außerdem können Besucher:innen sich selbst an archäologischen Zeichnungen probieren. Diesen Aspekt der Ausstellung findet Museumsleiterin Rechenberg besonders wichtig.

 

O-Ton 2, Andrea Rechenberg, 20 Sekunden

Mein persönliches Highlight in der Ausstellung ist tatsächlich der Arbeitstisch der Stadtarchäologie und diese Ebene, wo wir versuchen zu vermitteln, wie wir arbeiten, wie auch wir im Museum arbeiten, wie die Stadtarchäologie arbeitet, wie Wissen entsteht und wie Stadtgeschichte immer wieder Zuwachs erfährt durch unsere Arbeit.“

 

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Viele der Funde stammen aus dem frühen Mittelalter bis hin zur späten Neuzeit. Ein Beispiel: Die Funde aus der Grabung an der Düsteren Straße, die anlässlich des Baus des Kunsthaus gefunden wurden. Von wann die Funde aus dieser Grabung stammen, weiß Olszok.

 

O-Ton 3, Iris Olszok, 29 Sekunden

Die Objekte, die wir haben, stammen alle von dem Grundstück, wo heute das Kunsthaus steht, was ja kein Riesengrundstück ist, sondern relativ überschaubar, und trotzdem wurden halt unglaublich viele Sachen gefunden, und zwar von der Stadtgründung ungefähr um 1180 bis ins 19. Jahrhundert, was einfach nochmal zeigt, wie vielschichtig die Archäologie ist, weil sie auf verschiedenen Ebenen im Boden aus verschiedenen Zeiten ganz viele Objekte finden kann. Desto tiefer man geht, desto weiter geht man auch in die Vergangenheit.“

 

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Grabungen in Göttingen finden immer nur dann statt, wenn irgendwo gebaut werden soll. In der Innenstadt sind die Auftraggeber gesetzlich verpflichtet, archäologische Grabungen auf dem Baugrundstück zu finanzieren – allerdings nur in dem Ausmaß und in der Tiefe, wie auch für den Bau gegraben werden muss. So war es auch beim Bau des Kunsthauses in der Düsteren Straße und der Sanierung des Günter-Grass-Hauses daneben. Durch das Betrachten der Bodenschichten konnten die Archäolog:innen dort nachweisen, dass im Nikolaiviertel um 1500 das Bodenniveau angehoben wurde. Die Menschen schütteten dort Erde und auch Abfall auf, um das Viertel künftig besser vor der Feuchtigkeit des Leinekanals zu schützen. Olszok erklärt, woran man das auch heute noch erkennen kann:

 

O-Ton 4, Iris Olszok, 23 Sekunden

Man sieht das auch ganz schön immer noch. Das heutige Günter-Grass-Haus, das ist ungefähr von 1310, das ist eins der ältesten Häuser in Göttingen, und das stand halt vor dieser Erhöhung schon. Man sieht das am Haus heute noch, dass das Erdgeschoss ja so eingesackt wirkt, so sehr niedrig, weil eben das ursprüngliche Laufniveau tiefer war. Dann wurde außerhalb und innerhalb des Hauses Material verteilt und deswegen wirkt es jetzt auch so abgesackt.“

 

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Besonders spannend sei auch, dass diese Erhöhung auch andere Entwicklungen der Stadtgeschichte erkläre, so Olszok: Vorher wohnten in dem schlammigen Gebiet vor allem ärmere Menschen. Nach der Erhöhung zogen vermehrt reichere Menschen ins Nikolaiviertel. Das gehe aus alten Steuerlisten hervor. Auch an der prachtvolleren Architektur nach 1500 könne man das ablesen, so Olszok. Aber nicht nur große gesellschaftliche Zusammenhänge sind das, was wir aus archäologischen Grabungen lernen können. Auch, wie der Alltag in der Vergangenheit aussah, zeigen Funde wie alte Spardosen, Kochtöpfe oder Spielzeugpferde. Wieso sie diese Funde besonders interessant findet, verrät Museumsleiterin Rechenberg.

 

O-Ton 5, Andrea Rechenberg, 27 Sekunden

Ich bin ja Kulturwissenschaftlerin, daher liebe ich Objekte, die viel über das Alltagsleben der Menschen erzählen, wobei ich natürlich unsere Highlights und diese schönen Objekte auch sehr gerne mag und gerne anschaue, aber tatsächlich finde ich so was wie diese kleine Spardose berührt mich mehr, weil ich denke, das ist etwas, was über die Jahrhunderte geht: Auch damals wurde schon Geld gespart, um sich vielleicht irgendetwas anzuschaffen, oder sich etwas leisten zu können oder wegfahren zu können, wie auch immer.“

 

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Die Sonderausstellung „Unter uns“ gibt es noch bis zum 30. November im Städtischen Museum Göttingen zu sehen.