Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Tina Fibiger
Datum:
Dauer: 04:14 Minuten bisher gehört: 195
Es beginnt mit einem langen Schweigen. Gebrochen wird es zunächst nur durch das metallische Rascheln von Kronkorken. Zu hunderten sind sie über das Bühnenbild im Deutschen Theater verteilt. An der Bühnenrückwand bilden sie einen glänzenden, mäandernden Strom, der sich an manchen Stellen wölbt und an anderen einfach abbricht. Das geschieht auch, wenn jetzt die ersten Sätze in Philipp Löhles Szenario „Der Hund muss raus“ kursieren. Spontane und abgelagerte Gedankensplitter kreuzen sich, sie handeln vom Drogenalltag, der therapeutischen Enklave in der gemeinsamen WG und dem Tod eines Mitbewohners. Zusammen bilden sie eine Sammlung von Bruchstücken, die der Dramatiker für sein „Drogenstück“ erforscht und auf der DT.2 Bühne inszeniert hat. Von der Premiere berichtet Tina Fibiger.

Manuskript

Text

Thomas Rumps Bühnenbild verweigert jede Wohnküchenidylle so wie auch die biografischen Erzählungen von Sucht und Abhängigkeit, Ausbruchsversuchen und Zusammenbrüchen keine Anteilnahme oder Betroffenheit einfordern. Wenn sich das Schauspielteam mit Paul Trempnau, Christoph Türkay und Jenny Weichert diesen collagierten Altlasten widmen, klingen sie mitunter wie ein sachliches Protokoll, das für den Premierenabend ein weiteres Mal collagiert wurde. Gerd Zinck war erkrankt, so dass seine Schauspielkolleg*innen seinen Part kurzfristig übernahmen. Es gibt nichts zu beschönigen und keine Schuldfragen sondern Klartext, der manchmal wütend und manchmal scheinbar abgeklärt anmutet und auch gerne provoziert wie eine Herausforderung an die Adresse des Publikums. Hört es euch an, macht euch euren eigenen Reim, aber glaubt nur nicht, dass ihr das so ohne weiteres nachempfinden könntet.

 

O-Ton 1, Einspieler, „Der Hund muss raus“, 15 Sekunden

Das ist so ein richtiges Haus und wir haben da unsere Zimmer.Im Garten wohnt der Udo, in einem Zelt, ja. Der Udo war über 25 Jahre obdachlos, der kann nicht mehr in Häusern wohnen. Nur duschen und essen. Den Rest macht er in seinem Zelt. Wir haben einen Hund. Eigentlich ist es ihr Hund. Ja. Ich kann ja mit Hunden nix anfangen.“

Text

Collagiert hat Philipp Löhle diese biografischen Altlasten aus Gesprächen mit Drogenabhängigen, die von der Initiative HIOB –Hilfe ohne Bedingung und dem Göttinger Mediziner Christian Hundshagen betreut werden. Sie lassen sich auch nicht individuell zuordnen sondern werden wie typische, mögliche oder eben auch untypische Drogenbiografien erkundet. Dabei fallen Paul Trempnau, Christoph Türkay und Jenny Weichert auch ständig aus ihren vermeintlichen Rollen, wenn wieder eine Flut von Kronkorken raschelt oder wenn sie erneut zur Klebepistole greifen, um weitere Kronkorken an der Bühnenwand haftbar zu machen. Sie bilden einen Chor der Stimmen, der die Kulturgeschichte des Opiums Revue passieren lässt, ebenso wie die Entwicklung des Drogenhandels mit seinen politischen Helfershelfern, die Strategien der Pharmakonzerne oder die zerstörerischen Prozesse, die Drogen inklusive Alkohol und Nikotin in einem Organismus auslösen.

O-Ton 2, Einspieler, “Der Hund muss raus“, 17 Sekunden

Also, wir haben mit denen geredet und jetzt stellen wir das dar. Und wozu? Wozu? Ja, wozu? Verstehe ich nicht. Ja, wozu? Sag doch, wozu stellen wir uns jetzt hier hin und spielen diese Drogenabhängigen nach? Nee.“

Text

Es sind schrille Szenen, pointiert und frech überzeichnet, die Philipp Löhle auch in seiner Inszenierung mit den Alltagsprotokollen von Therapieversuchen, Beschaffungskriminalität und Gewalt kollidieren lässt. Immer wieder überlagern sich die Stimmen, wenn sie Expertisen abrufen, historische Chroniken oder die jeweils opportunen Meinungsbilder und wie sehr sie auch mit ökonomischen oder geopolitischen Interessen verknüpft sind. Und auch hier gilt die Ansage, sich darauf seinen Reim zu machen, die vermeintlichen Fakten und Argumente zu reflektieren, die an den biografischen Splittern ebenfalls haften. So vieldeutig lesbar wie dieses Szenario ist auch der Titel „Der Hund muss raus“. Es gibt das Haustier, das den WG-Alltag immer wieder dominiert, aber es gibt auch Diejenigen, die auf den Hund gekommen sind und dann im gesellschaftlichen Abseits landen und dort nicht ohne Hilfe rauskommen, um sich als Überlebenskämpfer täglich neu zu behaupten oder zu scheitern.

 

O-Ton 3, Einspieler, „Der Hund muss raus“, 20 Sekunden

„Also ich war neulich aufm Friedhof, mit seiner Mutter. Ich würde fast sagen, also der Hens, das war mein bester Kumpel. Ja? Eh, wir haben vielleicht nicht immer über alles…oder so. Aber, also ich meine über die Jahre gesehen, ich meine in so einer Szene sterben ständig Leute. Wenn Du mit Drogen 30 wirst, das ist schon was. Ja um dich rum… ständig klappt da jemand zusammen.“