Viele gegen Willi – Postkolonialer Stadtrundgang rüttelt am Fundament Göttinger Sehenswürdigkeiten
Sendung: | Mittendrin Redaktion |
---|---|
AutorIn: | Steffen Hackbarth |
Datum: | |
Dauer: | 04:33 Minuten bisher gehört: 384 |
Manuskript
Text
Zwei Infotafeln, ein Pavillon und Informationsbroschüren, dazwischen fair gehandelte Schokolade zur Stärkung. Neben anderen Entwickler*innen des Postkolonialen Stadtrundgangs unterhalten sich Johanna Strunge und Chris Herrwig mit interessierten Passanten unter den vielleicht argwöhnischen Blicken des herrschaftlichen Kolosses Königs Wilhelms IV. von Großbritannien und Hannover. Sein sonst so sicherer Stand wirkt allerdings ab heute etwas wackeliger. Steht er am Ende doch nur auf tönernen Füßen? Chris Herrwig, Eine-Welt-Regional-Promotor für Südniedersachsen am Entwicklungspolitischen Informationszentrum (EPIZ) Göttingen, beschreibt den Entstehungskontext der Idee für einen postkolonialen Stadtrundgang:
O-Ton 1, Chris Herrwig, 25 Sekunden
„Ich glaub für mich war eine ganz große Motivation, dass wir alle gemerkt haben so, es gibt schon ganz, ganz viel Material eigentlich in Göttingen und Umgebung zu postkolonialen Themen. Viele Menschen haben dazu schon gearbeitet, recherchiert, zusammengetragen. Aber es gibt eigentlich noch keinen Ort, wo das so zusammengeführt war und für so ein breites Publikum zugänglich war. Und deswegen war so ein bisschen die Idee, ja, die vielen roten Fäden zusammenzubringen und eine Plattform zu schaffen, wo man sich das quasi dann anschauen kann.“
Text
Im Fokus stehen sowohl die jeweiligen Attraktionen wie das schon angesprochene Denkmal Wilhelms IV, oder das Bismarckhäuschen auf dem Wall, um nur zwei Stationen zu nennen. Insgesamt 90 Minuten und zwei Kilometer Weg sind für den Rundgang veranschlagt. Die Sehenswürdigkeiten und Orte werden aber nicht nur mit textlichen Informationen angereichert, sondern der Stadtrundgang bietet ebenso historische Fotos, Quizzes und die Möglichkeit, Sprachnotizen aufzunehmen. Welchen Zweck diese Funktion verfolgt, erläutert Johanna Strunge, Mitentwicklerin des Rundgangs und darüber hinaus Doktorandin am Forschungskolleg „Wissen | Ausstellen“:
O-Ton 2, Johanna Strunge, 24 Sekunden
„Man muss tatsächlich sagen, in der App funktioniert das so, dass das nicht direkt an uns weitergeleitet wird, sondern es ist erst einmal eine Sprachnotiz an sich selbst. Also man wird quasi an der Station gefragt: Was denkst du dazu? Und dann kann man das für sich beantworten und sich später nochmal anhören. Und sie dürfen das aber dann an uns weiterleiten, wenn sie Lust haben, weil das ein Feedback ist oder eine Anmerkung. Aber das heißt, man selbst als Nutzer*in der App bekommt nicht gleich die Gedanken der anderen zugespielt.“
Text
Dieses Feature ist vielleicht für ein späteres Update reserviert, erklären die Entwickler*innen, ebenso ist eine Audioversion der vielen textlichen Informationen geplant. Und das ist sicherlich eine gute Ergänzung. Aktuell fällt es nämlich noch etwas schwer, bei der vielen Lesearbeit sich auf die Wirkung der abzugehenden Orte einzulassen. Der Blick, wie so oft im Alltag, wird vom Smartphone vereinnahmt. Der Stadtrundgang führt aber unter anderem auch in die Göttinger Einkaufsmeile und dort soll durch den Ort offengelegt werden, inwiefern auch unser Konsum von kolonialen Strukturen zehrt:
O-Ton 3, Johanna Strunge, 38 Sekunden
„Es war eigentlich uns ein sehr großes Anliegen, auch auf kolonialen Konsum zu blicken, weil das Thema Kolonialismus und Post-Kolonialismus wird in den letzten Jahren sehr viel diskutiert. Aber gerade so diese Spuren im Alltag und, was sie eigentlich mit jedem von uns noch bis heute zu tun haben, das kommt in dieser Diskussion manches Mal noch zu kurz. Und gerade so Konsumpraktiken – also das ist, zum Beispiel, eine der langen Stationen, weil wir das Gefühl haben, wir müssen sehr viel Hintergrund erklären, weil es auch einfach um so Fragen geht wie: Handelsbeziehungen - haben die sich verändert? Was verschleiert sich auch manches Mal hinter Begriffen wie Globalisierung heute? Und das war uns irgendwie wichtig, da mal drauf zu blicken und einen Denkanstoß zu geben.“
Text
Ob Kaffee, Tee, Kakao oder Zucker, unsere Ernährungs- und Genusswelt ist mit vielen Erzeugnissen aus ehemals kolonial besetzten Ländern bestimmt. Auch wenn durch die Themen- und Textgestaltung klar wird, dass die Entwickler*innen uns auch diese postkoloniale Brille aufsetzen möchten, werden die Nutzer*innen zum Dialog eingeladen - mit sich selbst, dem Thema und auch den Entwickler*innen. Durch eine Bandbreite an Hintergrundinformationen und weiterführendem Material ist es möglich, sich ein eigenes Bild zu machen. Koordinator Herrwig schildert die Offenheit des Projektes noch einmal, wie folgt:
O-Ton 4, Chris Herrwig, 21 Sekunden
„Ich glaube, was uns total wichtig ist, ist nochmal zu sagen, dass es kein abgeschlossenes Projekt ist, dass es so ein lebendes Projekt sein soll; das heißt, wir gerne auch an dem Rundgang immer wieder weiter rumschrauben, verändern können, zufügen können. Deswegen freuen wir uns total über Feedback, über Menschen, die mit uns auch in Austausch dazu treten. Also wünschen uns da auch ganz ganz viel Interaktion und, ja, sind ganz ganz gespannt wie sich das jetzt entwickelt, nachdem der jetzt veröffentlicht ist.“
Links / Verweise
Zur Verfügung gestellt vom StadtRadio Göttingen
Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für private Zwecke benutzt werden. Jede andere Verwendung (z.B. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Bearbeitung, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung der Autorin bzw. des Autors zulässig. Die Verwendung für Rundfunkzwecke bedarf der Genehmigung des StadtRadio Göttingen.