Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Jeanine Rudat
Datum:
Dauer: 03:31 Minuten bisher gehört: 166
Heute ist Weltflüchtlingstag. Jedes Jahr wird er am 20. Juni begangen und erinnert daran, dass Frauen, Männer und Kinder gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen. 100 Millionen Menschen sind aktuell auf der Flucht, die – laut UNO – größte Zahl an Vertriebenen, die je registriert wurde. 2023 ist das Thema des Weltflüchtlingstags „Recht auf Schutz“. Ein Recht auf menschenwürdige Behandlung, Asyl und einen sicheren Zugang, sprich Grenzen nicht zu schließen. Dass dies passiert, hat nicht nur Donald Trump mit seiner Mauer zu Mexiko gezeigt. Autor Timor Vermes hat sich in seinem Buch „Die Hungrigen und die Satten“ vorgestellt, was wäre, wenn sich Europa abschottet und Millionen Menschen in großen Flüchtlingslagern in Afrika warten und leiden. Und was wäre, wenn 150.000 von ihnen mit einem deutschen Fernsehstar Richtung Europa marschieren? Jeanine Rudat stellt Ihnen das Buch vor.
Dieser Beitrag wird Ihnen präsentiert von: Das Backhaus

Manuskript

Text

2015 ging als Jahr der sogenannten „Flüchtlingskrise“ in die Geschichte ein. Aktionen unter dem Hashtag #refugeeswelcome und Ex-Kanzlerin Merkels viel zitierter Satz „Wir schaffen das“ bestimmten vor allem die deutschen und europäischen Medien.

 

Und das nicht ohne Grund. Lag die Zahl der Asylbewerber:innen in Deutschland bis 2013 durchschnittlich bei 34.000 Personen pro Jahr, stieg sie nur ein Jahr später auf 173.000. Mitte August 2015 erhöhte die Bundesregierung ihre Prognose für das gesamte Jahr auf 800.000 Geflüchtete, überwiegend aus Syrien, dem Irak und Afghanistan.

 

Das schürte gleichzeitig irrationale Befürchtungen sowohl bei anderen europäischen Ländern, die ihre Grenzen dicht machten - man erinnere sich an den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, der einen Grenzzaun zu Serbien baute - aber auch bei der Bevölkerung, die sich überrannt fühlte und mit kriminellen alleinreisenden Männern rechnete. Dies nutzen dann wieder rechte Parteien, um Stimmung zu machen.

 

Vor diesem Hintergrund entstand der Roman „Die Hungrigen und die Satten“. Autor Timor Vermes, der bereits mit dem verfilmten Buch „Er ist wieder da“ rund um einen im Hier und Jetzt wieder aufgetauchten Adolf Hitler Erfolge feierte, hat sich auch hier ein ernstes Thema herausgesucht und es satirisch aufbereitet.

 

Deutschland hat eine Obergrenze für Asylsuchende eingeführt, ganz Europa ist bis weit nach Nordafrika hinein abgeriegelt, damit auch ja kein Boot die europäische Küste erreicht. Jenseits der Sahara entstehen riesige Lager, in denen Millionen von Geflüchteten warten, warten und warten. So lange, dass man in derselben Zeit eigentlich auch zu Fuß gehen könnte, wäre das nicht der sichere Tod.

 

Als die deutsche Starmoderatorin Nadeche Hackenbusch das größte dieser Lager besucht, erkennt der junge Lionel die einmalige Gelegenheit: Mit 150.000 Geflüchteten nutzt er die Aufmerksamkeit des Fernsehpublikums und bricht zum Marsch nach Europa auf. Die Schöne und die Geflüchteten werden zum Quotenhit. Und während sich der Sender über Live-Berichterstattung mit Zuschauerrekorden und Werbemillionen freut, reagiert die deutsche Politik mit hilflosem Wegsehen, Kleinreden und Aussitzen. Doch je näher der Zug rückt, desto mehr ist Innenminister Joseph Leubl gefordert. Und desto dringlicher stellen sich ihm und den Deutschen zwei Fragen: Was kann man tun? Und in was für einem Land wollen wir eigentlich leben?

 

Ein Bundesinnenminister aus Bayern, der menschenfreundlich und pragmatisch handelt. Ein karrieregeiler Staatssekretär, der Küchenkataloge lesen muss und am alljährlichen Sommerloch leidet. Ein Kanzler, der kein Merkel mehr ist. Nie war Deutschland hilfloser. Ausgerechnet in dieser prekären Lage entdeckt eine Trash-TV-Moderatorin ihr Herz für Arme und will die Welt zu einem besseren Ort machen. Auch mit seinem neusten Werk spiegelt der ungarisch-deutsche Autor Timor Vermes perfekt die Situation von 2015 und zeigt, wie es hätte auch sein können. Obwohl er in seiner Gesellschaftssatire nicht mit Witz und Humor spart, erkennt man den ernsten Hintergrund seiner Geschichte. Beim Lesen schleichen sich Gedanken ein, dass die Realität doch oft noch viel unglaublicher und böser ist, als der finsterste Roman. Sein Buch ist – trotzdem es bereits vor fünf Jahren erstmalig erschien – immer noch brandaktuell und zeigt, dass wir nach wie vor noch kein Mittel gefunden haben, dass alle Menschen auf der Welt würdig leben können und nicht mehr aus ihrem Heimatland fliehen müssen und dass wir immer noch an unserer Willkommenskultur weltweit arbeiten müssen.