Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Jeanine Rudat
Datum:
Dauer: 03:11 Minuten bisher gehört: 312
Jedes Jahr sterben in Deutschland ca. 9.000 Menschen durch Suizid – mehr als durch Gewalttaten, Verkehrsunfälle und illegale Drogen. Über 100.000 Menschen verlieren dadurch einen nahestehenden Menschen. Um die Öffentlichkeit auf die weitgehend verdrängte Problematik der Suizidalität aufmerksam zu machen wird alljährlich der Welttag der Suizidprävention veranstaltet. Er wurde von der Weltgesundheitsorganisation und der International Association for Suicide Prevention das erste Mal für den 10. September 2003 ausgerufen. Am Samstag wird er erneut begangen und soll vor allem auf die Ursachen, wie z.B. Depressionen, und die Vorbeugung der Selbsttötung aufmerksam machen. Viktor Staudt stellt in seinem autobiografischen Buch „Die Geschichte meines Selbstmords und wie ich das Leben wiederfand“ seine Geschichte vor. Jeanine Rudat hat es gelesen.

(Bild: Knaur Verlag)

Manuskript

Text

Wer den Niederländer Viktor Staudt Ende August 1999 sieht, erblickt einen groß gewachsenen, athletischen Mann, der sich vielleicht gerade mit einem Arbeitskollegen ein Mittagessen gönnt und über einen Witz lacht. Niemand käme auf die Idee, dass es in dem 30-Jährigen ganz anders aussieht. Dunkel, ohne Ausweg, innerlich tot.

Seine Kindheit verlief zunächst glücklich. Er spielte in der Schule gerne Theater, war lebhaft und hatte gute Freunde. Als er in die Pubertät kam, begannen seine Depressionen und er begann zu stottern, was dazu führte, dass er sich immer mehr zurückzog. Schon damals dachte er daran, seinem Leben ein Ende zu setzen. Aber der Gedanke, dass er nach seinem Schulabschluss etwas von dem großen Druck loswerden würde, der ihn immer umgab, bewahrte ihn davor.

Doch auch nach seinem Umzug nach Amsterdam und seinem Job am Flughafen wurde es nicht besser. Angst- und Panikattacken bestimmten sein Leben. Seine Hausärztin verschrieb ihm nur Xanax, eine Therapie empfahl sie ihm nicht. So versucht Staudt, sich abzulenken, er treibt viel Sport und stürzt sich ins Nachtleben. Obwohl er sich eigentlich nur nach der Stabilität einer Beziehung zu einem liebevollen Mann sehnt.

Irgendwann reicht es nicht mehr, die Xanax und die Ablenkung. Er meldet sich in einem Selbstmordforum an, schreibt mit anderen. Als er im September 1999 keinen Ausweg mehr sieht, beschließt er, sich vor den Zug zu werfen. Viktor Staudt überlebt den Selbstmordversuch – aber er verliert seine Beine.

Zunächst ärgert er sich und sucht weiter nach Wegen, dieses Mal mit Tabletten, sich umzubringen, ist aber letztlich so mit Therapien und Reha-Maßnahmen beschäftigt, dass diese Gedanken in den Hintergrund treten. Nachdem er in eine Klinik in Süddeutschland versetzt wird, stellt eine Psychologin endlich die richtige Diagnose, Borderline-Syndrom, und er erhält die Medikamente, die ihm helfen, den Alltag zu bewältigen.

Der Suizid des Hannover 96-Torhüters Robert Enke inspirierte Staudt dazu, seine eigene Geschichte aufzuschreiben. In seinem autobiografischen Buch „Die Geschichte meines Selbstmords“ erzählt er schonungslos, wie es ihm vor und nach seinem Suizidversuch ergangen ist. Ehrlich berichtet er von seinen düsteren Gedanken und wie viel leichter es ihm oft fiel zu lügen, dass es im gut gehe. Durch seine authentischen Einblicke in seine Gefühls- und Gedankenwelt kann man nachvollziehen, was zu seinem Suizidversuch geführt hat und das Nachwort von Dr. Siegfried Kasper, Professor für Psychiatrie und Vorstand der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Medizinischen Universität Wien, erläutert, wie wichtig es ist, dass die Medien über dieses Thema berichten und dass man sich für die Prävention einsetzt, wie es Staudt mit Hilfe seines Buches viele Jahre getan hat, bis er 2019 seinem Leben doch ein Ende setzte. Doch wie er schon in seinem Buch, dass vor genau zehn Jahren in seinem Heimatland erschien, sagte: „Falls nur ein einziger Mensch sich nach der Lektüre dieses Buches entscheidet, Hilfe zu suchen, anstatt Hand an sich zu legen, habe ich mein Ziel erreicht.“