Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Steffen Hackbarth, Sprecherin: Julia Kleine
Datum:
Dauer: 04:56 Minuten bisher gehört: 232
Kreativität und Normalität stehen in einem unauflösbaren Spannungsverhältnis. Das Zerren der beiden Pole findet aktuell in der Ausstellung „CreAktiv“ im KAZ Göttingen eine Leinwand. In Kooperation mit dem Asklepios Fachklinikum und der Projektgruppe „Mind, my business“ werden bis zum 6. September Werke präsentiert, die im Rahmen der Kunsttherapie entstanden sind. Steffen Hackbarth hat sich in das kreative Kraftfeld begeben.

Anne Moldenhauer (l.), Geschäftsführerin des KAZ, und Anita Krisko (r.), Leiterin der Projektgruppe "Mind, my business" vor einem der Kunstwerke der Austellung "CreAktiv" im KAZ Göttingen.

Manuskript

Text

 

Zwischen Spiegelhalle und Allerleiraum öffnet sich ein Gang ins Unterbewusste. Der Korridor und die abgehenden Räume befinden sich im KAZ, dem Göttinger Aktions- und Kommunikationszentrum an der Bürgerstraße, das Raum bietet für Ideen wie „Mind, my Business.“ Das Projekt hat es sich zur Aufgabe gemacht, psychische Gesundheit öffentlich zu thematisieren. In diesem Fall in Form einer Kunstausstellung in Kooperation mit dem Asklepios Fachklinikum Göttingen. Das Thema wird auch heute noch gesellschaftlich ins Abseits gestellt. Die Initiatorin Anita Krisko sieht in der Offenlegung und dem dialogischen Verhandeln von psychischen Erkrankungen eine Chance.

 

O-Ton 1, Anita Krisko, 55 Sekunden:

 

„Mind my Business ist ein Wortspiel. Es bedeutet, dass auch unsere Psyche unsere Angelegenheit ist, wir müssen uns nicht nur um unseren Körper kümmern. Es bedeutet auch, dass wenn ich mich um meine Psyche kümmere, und du dich um deine, und jeder das so macht, dass wir mehr respektvoll miteinander umgehen mit mehr Akzeptanz. Und einige der vorherrschenden Grenzen werden aufgebrochen – zum Beispiel wenn Leute besser verstehen würden, was Depression ist, gäbe es meiner Meinung nach keinen Arbeitgeber mehr, der sagen würde, dass wenn man krankgeschrieben aufgrund von Depression zuhause bleibt, dass dies Luxus sei - reiß dich zusammen, steh auf und komm zur Arbeit, du musst arbeiten. Das würde dir niemand sagen, wenn du eine Lungenentzündung hast, natürlich bist du krank und musst zuhause bleiben oder im Krankenhaus.“

 

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Krisko hat in der Vergangenheit schon gemeinsam mit den Beteiligten von „Mind, my business“ künstlerisch den Weg in die Öffentlichkeit gesucht. Auf dem Nicolaikirchhof wurden dafür Porträtfotos unterschiedlicher Menschen auf das Kopfsteinpflaster geklebt. Einige der Porträtierten leiden an einer psychichen Erkrankung, einige kennen jemanden aus der Verwandtschaft oder im Freundeskreis. Anhand der Fotos kann man nicht erkennen, wer wer ist. Auch mit der aktuellen Ausstellung soll der Begriff der Normalität als solcher in Frage gestellt werden. Wer über den Rand malt, denkt auch darüber hinaus, findet Krisko.

 

O-Ton 2, Anita Krisko, 50 Sekunden:

 

„Normal zu sein ist schwer – sich in gewissen Grenzen zu bewegen, nach den Regeln zu spielen. Man soll dies nicht sagen. Heutzutage gibt es mehr und mehr Dinge, die man nicht sagen soll, und das wird nicht einmal für Zensur gehalten. Das ist nicht richtig. Damit stößt du diesen Leuten vor den Kopf, damit jenen. Und dann denkt man, Oh mein Gott, was soll ich denken, darf ich überhaupt denken. Darf ich Rot und Gelb nebeneinander setzen. Darf ich… - Sehen Sie, wenn Sie versuchen, nicht Durchschnitt zu sein – so möchte ich es nennen. Ich werde das Wort „normal“ nicht mehr benutzen - dann stellt man sich diese Fragen nicht mehr. Man handelt einfach, wie es von einem verlangt wird. Und das tötet die Kreativität.“

 

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Die künstlerische Auseinandersetzung mit Grenzen und ihrem Verwischen wird im Asklepios Fachklinikum schon mehr als 25 Jahre betrieben. Maltherapeutisch können hier psychisch erkrankte Patient*innen einen Selbstausdruck finden, ihre Gedanken verarbeiten und das, was nicht gesagt werden kann, in die Welt setzen. Bei der Betrachtung der aus diesem Prozess entstandenen Kunstwerke drängt sich die Frage auf: Was wird hier eigentlich ausgestellt? Kunstwerk oder Künstler*in. Anne Moldenhauer, Geschäftsführerin des KAZ, findet diese Frage an einem Ausstellungsstück exemplarisch verhandelt.

 

O-Ton 3, Anne Moldenhauer, 44 Sekunden:

 

Die Collage dieser Texte aus einem Lexikon zu diesen beiden Polen Psychiatrie und Kunst, die das auf so einer formalen einsortierenden Ebene behandelt, und dann die, finde ich, sehr ausdrucksstarke Zeichnung, wo sich eigentlich jeder porträtiert fühlen kann und wann sofort weiß, welche Emotion, was dargestellt wird und das einen auch sofort so reinzieht. Und ähnlich wie das andere Bild, ist das auch so der Pol der Ausstellung. Man kann es einfach rein emotional und ästhetisch sehen die Ausstellung und besuchen, jenseits aller Informationen , aber man kann eben, sich da auch drauf einlassen und genau über das Thema reflektieren.

 

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Die Künstler*innen trauen sich mit Zeichnungen, Texten, Fotos, Collagen und viel Farbe in die Öffentlichkeit. Manche Werke sind sogar signiert, andere bleiben anonym. Sie alle tragen dazu bei, dass anhand ihrer Kunst über psychische Gesundheit gesprochen werden kann. Vielleicht öffnet das bei dem einen oder anderen Betrachter ebenfalls einen lichten Korridor.