Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Nikita Makarov
Datum:
Dauer: 07:34 Minuten bisher gehört: 357
Wir machen eine kleine Zeitreise: Wir springen zum 13. Dezember 2022. Genau vor einem Jahr standen die beiden Halbfinals der Fußball-WM in Katar auf dem Plan. Die Nationalmannschaften von Argentinien, Kroatien, Frankreich und Marokko bereiteten sich auf ihre Spiele vor. Die Spielorte? Das Lusail Iconic Stadium in Lusail, Katar und das al-Bayt-Stadion in al-Chaur, Katar. Beide Stadien wurden extra gebaut für diese Fußball-WM. Die Arbeitsbedingungen unter denen unter anderem auch diese beide Stadien entstanden sind, standen viel in Kritik. Ende November war in Göttingen im Rahmen einer Veranstaltung ein Betroffener zu Gast, der erzählt hat, wie die Lage in Katar aus seiner Perspektive war. Nikita Makarov berichtet.
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Manuskript

O-Ton 1, Rinas Chaban, 12 Sekunden, paraphrasiert aus dem Englischen

Ich habe bei der Qatar Building Company als Bauingenieur angefangen, spezialisiert auf Straßen. Ich habe die Firma im Internet gefunden. Ich habe versucht sie zu kontaktieren, sie haben mich angenommen und ich habe 2021 angefangen für sie zu arbeiten.“

 

Text

Das war Rinas Chaban. Chaban stammt aus der syrischen Stadt Afrin und hat ab 2021 für zwei Jahre in Katar gearbeitet. Er war einer der Menschen, die dafür verantwortlich waren, die Infrastruktur für die Hochglanz-Fußball-WM im vergangenen Jahr zu bauen. Acht neue, moderne und schicke Stadien sind dabei mitten in der Wüste Katars entstanden: In Doha, das Stadium 974 und das al-Thumama-Stadion, in al-Wakra das al-Janoub-Stadion, in ar-Rayyan das Ahmed bin Ali Stadium, das Education City Stadium und das Khalifa International Stadium, in al-Chaur das al-Bayt-Stadion und in Lusail das Lusail Iconic Stadium, in dem auch das Finale der WM stattfand. Dazu bekam Doha ein neues Metro-System und auch Straßen und Gebäude wurden massenhaft buchstäblich aus dem Sand erhoben. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International spricht von 15.000 toten ausländischen Staatsbürgern, die zwischen 2010 uns 2019 in Katar verstorben seien, und beruft sich dabei auf die Angabe der katarischen Regierung. Auch Chaban beschreibt die Arbeitsbedingunngen in Katar als schlecht.

 

O-Ton 2, Rinas Chaban, 52 Sekunden, paraphrasiert aus dem Englischen

Das Wetter dort ist wegen der Wüste in Katar zu heiß und die Luftfeuchtigkeit ist zu hoch. Die Arbeiter fühlen sich schneller müde als Arbeiter in anderen Gegenden. Die Firmen haben die Arbeiter aufgefordert immer mehr, mehr und mehr zu arbeiten, um die Arbeiten abschließen zu können, bevor die Weltmeisterschaft beginnt. Noch dazu waren die Häuser oder Räume der Arbeiter sehr schlecht, weil sie mitten in der Wüste waren. Vier bis sechs Menschen kamen zusammen in kleinen Räumen unter. Das schlimmste ist, dass die Medien in Katar, die zeigen den Touristen diese Leute nicht. Bis heute ist es nicht erlaubt Arbeiter zu besuchen.“

 

Die Kritik an der WM war gerade in Europa und vor allem in Deutschland groß. Wir erinnern uns zum Beispiel an das Engagement der deutschen Mannschaft, der von der FIFA verboten wurde sich mit Regenbogen-Symbolen für die in Katar unterdrückte LGBT-Community einzusetzen. Ihren Unmut hatten die Spieler damals vor dem ersten Gruppenspiel gegen Japan mit einer Geste, bei der sie sich mit der Hand den Mund zugehalten haben, auch deutlich ausgedrückt. Aber was ist seitdem besser geworden? Chaban hält Gebote der Besserung seitens der Kataris für leere Versprechen.

 

O-Ton 3, Rinas Chaban, 34 Sekunden, paraphrasiert aus dem Englischen

Sie sagen nur “Wir werden die Arbeitsbedingungen immer mehr verbessern”, aber bis heute haben sie nichts getan. Wir haben sogar mehr gearbeitet als wir ursprünglich ausgemacht hatten. Ich habe an einigen Tagen 18 Stunden durchgängig gearbeitet, ohne Pausen. Als ich zur Firma gegangen bin und ihnen sagte, dass ich 10 Überstunden gemacht habe – In meinem Vertrag waren 8 Stunden festgesetzt – habe ich gebeten mich dafür auszuzahlen. Sie sagten „OK, wir bezahlen dich“ aber bis heute, haben Sie mir für drei Monate nichts bezahlt. Ich hatte ein Gehalt von 1.600 Euro pro Monat.“

 

Ein wesentlicher Kritikpunkt am System Katar, ist die Stellung der Arbeiter im Land. Diese kommen aus einer Vielzahl an Ländern, Chaban nennt vor allem Indien, Nepal, die Philippinen, Sri Lanka, Kenia, Nigeria, Ghana und Uganda als Herkunftsländer der Menschen, die über Stunden auf den Baustellen verbracht haben. Diese Menschen haben alle eines gemein: Sie unterliegen in Katar dem sogenannten „Kafala-System“. Was das genau ist, das kann Dr. Kamal Sido, Referent für ethnische, religiöse und sprachliche Minderheiten und Nationalitäten von der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) in Göttingen erklären.

 

O-Ton 4, Kamal Sido, 33 Sekunden

Kafala-System bedeutet, dass jemand ein „Kafil“ wird, also ein Katari muss für einen Gastarbeiter bürgen. Früher hat man sogar den Menschen dann die Pässe weggenommen und diese Pässe, Reisedokumente lagen bei diesem Menschen, der gebürgt hat. Zum Teil wurde das abgeschafft, aber die Praktiken dieses Systems gehen weiter. Wenn es kontrolliert wird, dann haben die Leute manchmal die Pässe, aber wenn da keine Kontrollen sind, dann wird nach dem alten Gebrauch weiter gearbeitet. “

 

Aus einem schiefen Abhängigkeitsverhältnis heraus entstanden also die Stadien der WM 2022. Auch während dem Turnier mussten Menschen wie auch Rinas Chaban weiter arbeiten. Chaban erzählt, dass er während dem Turnier keinen Kontakt zu Fans und Zuschauern haben durfte. Er beschreibt die Situation wie folgt.

 

O-Ton 5, Rinas Chaban, 31 Sekunden, paraphrasiert aus dem Englischen

Die, die zu den Spielen kommen, Zuschauer, die Medien oder Spieler, sie wissen nicht, wie die Stadien gebaut worden sind. Es ist schlimm zu sehen, wie dieses Event und die Feiern stattgefunden haben, ohne dass sich um den Arbeiter gekümmert wurde, der draußen arbeitet. Als Beispiel: Zuschauer kommen zu jedem Spiel und ich bin draußen, ich warte bis die Zuschauer aus dem Stadion sind. Also, wir sind draußen und warten und sie sind drinnen, feiern und haben Spaß“

 

Zusammengefasst: Die Menschenrechtslage in Katar war und ist weiterhin für die Arbeiter dort schlecht. Chaban hat für drei Monate immer noch keine Gehaltszahlungen bekommen, er wartet vermutlich vergeblich auf ihm zustehende 4.800 Euro, dazu hat er teilweise 18 Stunden ohne Pausen gearbeitet ohne für Überstunden bezahlt zu werden. Auch das Kafala-System, das offiziell nicht mehr gilt, wird noch praktiziert. Und die weiteren düsteren Wolken türmen sich schon auf: 2034 wird die Fußball-WM sehr wahrscheinlich an den Nachbarn Katars aus Saudi-Arabien gehen. Kamal Sido äußert dazu schon seine ersten Bedenken und Sorgen.

 

O-Ton 6, Kamal Sido, 44 Sekunden

Wir haben große Sorgen. Also die Lage in Saudi-Arabien unterscheidet sich kaum von Katar. Diese WM muss nicht in Saudi-Arabien stattfinden, aber es ist eine Art Konkurrenz zwischen Katar und den Saudis. Wer ist dann quasi der Anführer der sunnitischen, islamischen Welt. Wenn die Kataris das geschafft haben, dann will Saudi-Arabien es auch schaffen. Also es geht nicht mehr um Sport, sondern um Konkurrenz, um politische Herrschaft in der islamischen Welt. Ich weiß nicht, ob der Weg ein anderer wird, aber wir werden das Ganze genauer beobachten. Der Unterschied: Die Saudis befinden sich in einem Reformprozess. Aber von einer Demokratie oder Menschenrechten, Frauenrechten, Glaubensfreiheit darf man aber noch nicht reden in Saudi-Arabien.

 

 

Bis 2034 sind es noch elf Jahre. Und auch Saudi-Arabien müsste für eine mögliche WM bauen. Viel bauen. Und die Ambitionen sind da. Jetzt muss nur die Weltgesellschaft ähnlich kritisch auf den Wüstenstaat auf der arabischen Halbinsel blicken. Um es mit den Worten von Kamal Sido zu beenden: „Wir werden das Ganze genauer beobachten“