„Rassistisch“ und „Menschenverachtend“ – so kritisiert das Bündnis „Fight racism - abolish Ausländerbehörde“ auch die Arbeit der Göttinger Ausländerbehörde
Sendung: | Mittendrin Redaktion |
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AutorIn: | Johanna Hawighorst |
Datum: | |
Dauer: | 06:59 Minuten bisher gehört: 512 |
Manuskript
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Am 14. Dezember organisierte das Bündnis „Fight racism - abolish Ausländerbehörde“ einen bundesweiten Aktionstag, um gegen die örtlichen Ausländerbehörden zu demonstrieren. Dabei äußerten sie eine generelle Systemkritik an der Institution der Ausländerbehörde und warfen ihr rassistische Praktiken vor. Das Bündnis kritisiert die Ausländerbehörde als ein Instrument, um die Lebensbedingungen von geflüchteten und migrantischen Personen zu prekarisieren. Neben Städten wie Leipzig, Magdeburg und Köln gab es auch in Göttingen eine Kundgebung vor dem Neuen Rathaus. Zur Kundgebung hat ein breites Bündnis, bestehend aus Betroffenen, solidarischen Einzelpersonen, antirassistischen Stadtgruppen und Initiativen aufgerufen. Nach Angabe der Veranstalter wurde mit 150 Menschen für ein Aussetzen aller Abschiebungen und die Abschaffung der Ausländerbehörde demonstriert, die Göttinger Polizei sprach von 50 Teilnehmern. Eine Aktivistin des Bündnisses, welche Asylsuchende bei Behördengänge unterstützt und die anonym bleiben möchte, erklärt das Anliegen der Kundgebung.
O-Ton 1, Aktivistin, 30 sec
„Wir wollen in die Öffentlichkeit bringen, wie rassistisch und menschenverachtend diese Ausländerpolitik hier ist. Und die Ausländerbehörde ist die Behörde, die das auf unterer Ebene umsetzt und Menschen einfach entrechtet, ihrer Würde beraubt und sie in eine tiefe Handlungsohnmacht stürzt. Ja ich glaube keine Behörde ist so besetzt mit Angst und Grauen. Die Menschen haben einfach schlichtweg Angst da hinzugehen, weil sie nicht kontrollieren können, was dort passiert.“
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Zudem nennt eine weitere Aktivistin, welche auch die Kundgebung mitorganisiert hat, Beispiele wie die Praktiken der Ausländerbehörden den Prozess für Asylsuchende erschweren. Sie kritisiert vor allem den Umgang mit den Asylsuchenden.
O-Ton 2,weitere Aktivitin, 33 sec
„Außerdem hören wir immer wieder Geschichten von Schikanen auf der Ausländerbehörde selber, also bei Besuchen von der Ausländerbehörde, dass zum einen die Amtssprache ganz klar immer Deutsch ist und vielen Leuten es einfach nicht möglich ist diese ganzen komplizierten Behördensprachdokumente zu verstehen. Wir haben Geschichten gehört, auch aus anderen Städten, dass Leute z.B aus einer Psychiatrie abgeschoben worden sind oder dass Leute Hausarrestverfügungen bekommen, was bedeutet, dass sie nachts zuhause bleiben müssen - was ja im Endeffekt Gefängnisbedingungen entspricht.“
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Während der Kundgebung gab es Redebeiträge von antirassistischen Gruppen und Initiativen, aber auch Betroffene vom institutionellen Rassismus der Ausländerbehörde, teilten in Form von Audiobeiträgen ihre Erfahrungen. Darunter eine kolumbianische Familie, die 15 Monate lang keine Sozialleistungen bekommen hat. Auch das Roma Center, eine migrantische Selbstorganisation, berichtet von bundesweiten Sammelabschiebungen und Menschen, die in ein Land abgeschoben würden, in dem sie noch nie waren. Ein Demo-Teilnehmer, welcher auch schon Schwierigkeiten mit der Ausländerbehörde hatte und auch anonym bleiben möchte, berichtet warum er die Kundgebung besucht hatte.
O-Ton 3, Betroffener , 13 sec
„Ich bin auch als Flüchtling hier nach Deutschland 2015 gekommen, und ich hatte selber Probleme mit Ausländerbehörde, sehr lange keinen Aufenthaltsstatus bekommen und ja, richtig viele Schwierigkeiten hatte.“
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Der erste Stadtrat Christian Schmetz weist die Anschuldigungen, es gäbe rassistische Praktiken in der Göttinger Ausländerbehörde, zurück. Fälle in Göttingen seien ihm nicht bekannt und wurden bisher auch nicht an ihn heran getragen. Auch teilt Schmetz mit, dass die Beschäftigten in der Ausländerbehörde, auch diejenigen welche schon länger dort arbeiten, jährlich an Schulungen zur Prävention von Rassismus teilnehmen. Auch auf die Forderung, die Institution der Ausländerbehörde abzuschaffen, geht Schmetz ein.
O-Ton 4, Christian Schmetz, 45 sec
„Die Abschaffung der Ausländerbehörde ist schlicht und ergreifend absurd und geht hier vollkommen an der Realität vorbei. Wenn sie die Ausländerbehörde abschaffen wollten, dann würden sie auch die Einbürgerung abschaffen. Denn in der Ausländerbehörde werden auch die Einbürgerungen gemacht. Wir hatten im Jahr 2022 270 Einbürgerungen und im Jahr 2023 mit Stand heute 487. Also das möchte mir doch niemand erzählen, dass man jetzt die Steigerung von 80 Prozent, die wir im Bereich der Einbürgerungen hatten, auch abschaffen müssten. Wir haben 200 Menschen eine Perspektive über das Chancenaufenthaltsrecht eingeräumt. Auch das würde es nicht geben, gäbe es die Ausländerbehörde nicht. Wir haben dieses Jahr das Projekt „Wege ins Bleiberecht“ verlängert. Wir waren so beispielgebend, das auch der Landkreis Göttingen als erster Flächenlandkreis unserem Beispiel gefolgt ist und auch dieses tolle Projekt würden sie dann abschaffen.“
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Schmetz bezeichnet die Kommune Göttingen als falschen Protestort für eine Systemkritik an der Ausländerbehörde. Auch berichtet Schmetz, dass es in den vergangenen Jahren 2022 und 2023 insgesamt vier Rückführungen aus Göttingen gab und diese Summe im Vergleich zu den Asylsuchenden, welche tatsächlich Asyl in Göttingen bekommen haben – nach Angaben von Schmetz 15.000 bis 16.000 – eher gering ist. Auch erwähnt Schmetz, dass er sich mehr Respekt gegenüber den Mitarbeitenden und ihrer Arbeit in der Ausländerbehörde wünsche.
Des Bündnis „Fight racism abolish Ausländerbehörde“ kritisiert zudem jede Form von Abschiebungen und fordert ein Bleiberecht für Alle. Besonders kritisch sieht das Bündnis die auf EU-Ebene neu verhandelte Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, kurz GEAS. Das neue gemeinsame Asylsystem der EU-Mitgliedsstaaten soll einen allumfassenden Rahmen schaffen und Mindeststandards für die Behandlung aller Asylsuchen festziehen. Die Organisation PRO ASYL bezeichnet die neue Asyl Reform als „menschenfeindlich“. PRO ASYL ist eine bundesweite Organisation, die sich für die Belange von geflüchteten Menschen einsetzt und ihnen als Beratung zur Seite steht. Mehr zu den Kritikpunkten der neuen Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems erzählt uns die Rechtspolitische Sprecherin von ProAsyl, Wiebke Judith.
O-Ton 5, Wiebke Judith, 55 sec
„Aus Sicht von PRO ASYL ist diese Einigung wirklich dramatisch, denn wir erleben einen massiven Abbau von Menschenrechten, von Rechtsgarantien für nach Europa fliehende Menschen. Ganz konkret heißt das, dass eine Vielzahl von fliehenden Menschen zukünftig an den Außengrenzen in haftähnlichen Lagern festgehalten werden wird. Es ist wirklich krass, es soll noch nicht Mal eine Ausnahme für Kinder und ihre Familien geben. Hier haben sich wirklich die restriktivsten Mitgliedsstaaten einfach durchgesetzt. Wir befürchten auch, dass noch mehr Deals mit autokratischen Machthabern wie Erdogan geschlossen werden, dass der EU-Türkei-Deal, der ja wirklich für sehr viel leid, gerade auch auf griechischen Inseln geführt hat, das quasi das als Blaupause für neue Deals verwendet wird. Denn durch diese Reform werden halt gerade auch solche Kooperationen erleichtert, um dann eigentlich hier schutzberechtigten Menschen, also Flüchtlingen z.B aus Syrien oder Afghanistan, den Schutz zu verweigern und sie in solche Drittstaaten abzuschieben.“
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Zudem bestätigt Wiebke Judith, dass PRO ASYL immer wieder Meldungen von problematischen Handlungen in Ausländerbehörden erreichen. Judith beschreibt auch ein Machtgefälle, welches zwischen den Asylsuchenden und den Mitarbeitenden in den Ausländerbehörden besteht. Der Aufenthaltsstatus und somit lebensweisende Entscheidungen hängen von den Mitarbeitenden in der Ausländerbehörde ab. Auch erzählt Judith, dass es durch das Gesetz an vielen Punkten zu Möglichkeiten für restriktivere Ausländerbehörden kommen könnte, Asylsuchende zu schikanieren.
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