Porträt des Bundestagskandidaten Jürgen Trittin (Grüne)
Sendung: | Aufgeweckt - Mehr am Morgen Redaktion |
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AutorIn: | Kilian Schlichting |
Datum: | |
Dauer: | 07:24 Minuten bisher gehört: 788 |
Manuskript
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Die Dinosaurier starben aus, weil sie sich nicht anpassen konnten. Obwohl er ein „Dino“ im Polit-Geschäft ist, lebt Jürgen Trittin dort noch immer ziemlich gut. Nicht umsonst wird dem Grünen-Politiker nachgesagt, er hätte über die Jahre eine Wandlung vom linken Hardliner zum Realpolitiker durchgemacht. So unterstellte er beispielsweise im März 2001 dem damaligen Generalsekretär der CDU, Laurenz Meyer, er habe die Mentalität eines Skinheads, da dieser vorher geäußert hatte, er sei Patriot. Heute bezeichnet sich Trittin selbst als „Verfassungspatrioten“:
O-Ton 1, Trittin, 39 sec.
„Der Begriff des Verfassungspatriotismus ist, wenn ich das richtig erinnere, von Gustav Heinemann, dem ersten sozialdemokratischen Bundespräsidenten nach dem zweiten Weltkrieg geprägt worden, der das bewusst abgegrenzt hat gegen einen undifferenzierten – manche würden vielleicht auch sagen „deutschtümelnden“ – Bezug zur Heimat, sondern gesagt hat: Es ist die Ordnung, die wir uns selber gegeben haben! Diese rechtstaatliche Ordnung, eine demokratisch legitimierte, den Menschenrechten verpflichtete Ordnung! Und demgegenüber bin ich loyal, demgegenüber fühle ich mich verbunden.“
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Trittin wurde 1954 in Bremen geboren. 1975 begann er ein Studium der Sozialwissenschaften an der Universität Göttingen, das er sechs Jahre später mit dem Diplom beendete. Anschließend arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Georgia Augusta und als freier Journalist bei der Göttinger Stadtzeitung. Inzwischen wohnt er in Berlin, aber das Leben in Göttingen hat ihn nachhaltig geprägt:
O-Ton 2, Trittin, 39 sec.
„Das hat große Spuren hinterlassen! Ich hab hier lange Zeit gelebt mit meiner Familie, ich hab' eine Tochter, die auf die IGS gegangen ist, und bin hier sehr viel immer mit dem Fahrrad und sonstwie unterwegs gewesen. Und das hat aber auch etwas zu tun mit der Stadtkultur, die ja sehr stark geprägt ist von einer Universität, die aus einer kleinen Stadt mit knapp über 100.000 Einwohnern – je nach Studierendenzahl – am Ende aber doch etwas Weltstädtisches macht, weil wir sehr viele junge Leute hier haben und weil es einen ständigen Austausch auch und gerade über die Wissenschaft gibt.“
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Bereits als Student war der Hobby-DJ politisch aktiv, bis 1980 gehörte er dem Kommunistischen Bund an. Seine spätere Frau, Angelika Büter, holte ihn dann zu den Grünen. Hier war er von 1990 bis 1994 Niedersächsischer Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, von 1998 bis 2005 Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und von 2005 bis 2009 stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion der Grünen. Jetzt ist er Fraktionsvorsitzender. Bei der Urwahl 2012 wurde er neben Katrin Göring-Eckardt mit 71,9 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen zum Spitzenkandidaten der Partei gewählt. Allerdings stoßen bei manchen Parteifreunden einige seiner Aussagen und Entscheidungen auf Unverständnis, so als er Anfang 2013 den Bundeswehreinsatz in Mali begrüßte. Immerhin galten die Grünen in der öffentlichen Wahrnehmung lange als Pazifisten. Trittin erklärt:
O-Ton 3, Trittin, 40 sec.
„Die Grünen waren nie eine pazifistische Partei! Sie waren immer eine Partei, die sich dem nuklearen Wettrüsten widersetzt hat! Die Entwicklung, die sich daraus ergeben hat, ist eigentlich eine, wo ich dringend dazu rate, mal ein bisschen zu differenzieren. Das sind, in Anführungsstrichen, „Militäreinsätze“, in Wirklichkeit dienen sie weniger der Anwendung militärischer Gewalt als der Wiederherstellung eines sicheren Lebensraumes und es ist richtig, diese Länder dabei zu unterstützen. Ich finde es auch nach wie vor richtig. Solche Einsätze sind richtig, sie dienen in der Regel eher der Friedenssicherung als des Kriegsführens!“
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In der Überwachungsaffäre um den amerikanischen Geheimdienst NSA wirft der Grüne der Bundeskanzlerin vor, die Öffentlichkeit nur scheibchenweise zu informieren – und stets nur über das, was der Spiegel gerade recherchiert hätte. Merkel solle die Rechte der Bürger aktiv verteidigen und die Datenübermittlungsabkommen mit den USA aufkündigen. Im Sommer forderte Trittin sogar, Edward Snowden in Europa Asyl zu gewähren. Die Fehler der schwarz-gelben Bundesregierung sind in seinen Augen vielfältig. Vom Betreuungsgeld hält der Vater einer Adoptivtochter z.B. überhaupt nichts:
O-Ton 4, Trittin, 29 sec.
„Wir wollen das Betreuungsgeld abschaffen. Wenn das Betreuungsgeld im vollen Umfang ausbezahlt wird, dann sind das 1,8 Milliarden Euro. Davon kann man jedes Jahr 33.333 Kita-Plätze neu errichten, und die brauchen wir dringend, gerade in Ballungszentren gibt es einen erheblichen Fehlbestand. Es wird ja behauptet, wir hätten statistisch eine ausreichende Versorgung. Aber dieser Satz ist ungefähr so klug wie die Behauptung des Bauern, im Schnitt sei der Teich einen Meter tief – und trotzdem ist die Kuh ersoffen.“
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Nach der Bundestagswahl wäre der ehemalige Umweltminister gerne Finanzminister. Er setzt sich dafür ein, das steuerfreie Einkommen von 8.300 auf 8.700 Euro anzuheben. Das würde den Staat etwa fünf Milliarden Euro pro Jahr kosten und soll durch eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes gegenfinanziert werden. Dieser soll bei Einkommen ab 80.000 Euro jährlich von 42 auf 49 Prozent angehoben werden. Zum Abbau der Schulden, die durch die Finanzkrise entstanden sind, ist außerdem eine Vermögensabgabe geplant, die von allen Menschen mit einem Vermögen von mehr als eine Million Euro geleistet werden soll. Trittins persönliches Steckenpferd ist aber eine Schuldenbremse für Banken:
O-Ton 5, Trittin, 39 sec.
„Wir müssen künftig verhindern, dass noch einmal der Steuerzahler für Bankschulden haftet! Und wie absurd das ist, das kann man selber gerne erfahren. Gehen Sie mal zu einer Geschäftsstelle der Deutschen Bank oder zur Postbank und sagen: ich möchte ein Haus bauen, ich hab zwei Prozent Eigenkapital, über achtundneunzig Prozent möchte ich einen Kredit haben. Das Gespräch ist ganz schnell beendet. Die Wahrheit ist, die Bank, die dieses Gespräch schnell beendet, hat genau eine so hohe Eigenkapitalquote! Und das geht nicht und deswegen sagen wir: wir wollen eine Schuldenbremse für Banken. Und dafür streiten wir und das ist unter den neuen Projekten, die wir haben, das Projekt, was mir persönlich sehr wichtig ist.“
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Nach wie vor will Trittin auch die Energiewende vorantreiben. Im Moment stammen 25 Prozent des Stroms in Deutschland aus Erneuerbaren Energien, bis 2020 soll es die Hälfte werden. Auch ohne Klimakatastrophe droht den Grünen derzeit allerdings ein „Artensterben“ in der Politik: wenige Wochen vor der Bundestagswahl liegen die Oppositionsparteien in den Umfragen deutlich hinter Schwarz-Gelb.
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