Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Emilia Kröger
Datum:
Dauer: 04:31 Minuten bisher gehört: 357
„Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit.“ So steht es im Grundgesetz, so muss es also in Deutschland umgesetzt werden. Klingt eigentlich ganz einfach, doch bei Menschen mit einer körperlichen Behinderung kann diese Selbstbestimmung schnell schwierig werden. Wenn der Körper nicht das ausführen kann, was der Kopf will, braucht es eine persönliche Assistenz, die Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung Hände und Füße leiht. Der Verein Selbsthilfe Körperbehinderter gewährleistet diese rein funktionelle Assistenz für körperbehinderte Menschen. Sein Grundsatz: Menschen mit Behinderung verdienen, genauso wie jeder andere, ein selbstbestimmtes Leben. Wie der Verein diese Hilfe zur Selbsthilfe ermöglicht und wo das Konzept an seine Grenzen stoßen kann, hören Sie nun in einem Beitrag von Emilia Kröger.

Jonas Morgenroth und Erik Kleinfeldt (v.l.n.r.) aus dem Verein Selbsthilfe Körperbehinderter Göttingen (Bild: Emilia Kröger).

Manuskript

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Der Verein Selbsthilfe Körperbehinderter Göttingen kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. Nach der Gründung im Jahre 1961 konnte sich der Verein seit den 80er Jahren immer weiter professionalisieren. Heute arbeiten rund 100 Mitarbeiter bei der Selbsthilfe Körperbehinderter und können so für mehr als 100 Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung persönliche Assistenz bereitstellen. Neben dieser Dienstleistung, versteht sich der Verein jedoch auch als gesellschaftliche Interessenvertretung von Menschen mit Behinderung. Jonas Morgenroth sitzt im Vorstand des Vereins, aus eigener Erfahrung weiß er, dass eine solche gebündelte Interessenvertretung nötig ist.

O-Ton 1, Jonas Morgenroth, 31 Sekunden

Also geht es erst Mal damit los, dass viele Menschen mit Beeinträchtigung zum Beispiel nicht so irre viel Energie haben und auch dann daraus folgend nicht in der Lage sind, sich so massiv für ihre Rechte einzusetzen, wie sie das brauchen. Und gerade Menschen mit Beeinträchtigung haben aber das Problem, dass sie ganz viel für ihre Rechte kämpfen müssen, weil ihnen wenig zufliegt. Ich meine man hat wesentlich mehr Bedarf als ein Durchschnittsbürger. Das heißt man braucht eben zum Beispiel Assistenz, man braucht Hilfsmittel, man braucht verschiedene Dinge und immer wieder muss man sich dafür einsetzen, das überhaupt zu bekommen.

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Der zweite Aspekt in dieser Hinsicht wird durch die Teilhabeberatungsstelle des Vereins abgedeckt. Denn in dem komplexen System aus verschiedenen Ämtern, Behörden, Krankenkassen und Dienstleistern ist es nicht leicht sich zurechtfinden. Da stellen sich beispielsweise Fragen wie: Welcher Antrag muss wo und wie gestellt werden und welche Leistungen übernimmt die Krankenkasse? Bei all diesen Angeboten zur Unterstützung von Menschen mit Körperbehinderung steht die Hilfe zur Selbsthilfe im Fokus. Erik Kleinfeldt, der verantwortlich ist für den ehrenamtlichen Bereich, gliedert die Leistungen des Vereins in zwei Teile.

O-Ton 2, Erik Kleinfeldt, 29 Sekunden

Also das eine ist eben der professionelle Part tatsächlich: die persönliche Assistenz. Wo wir immer sagen, der Assistent ist Hand und Fuß von Menschen mit körperlichen Einschränkungen, wenn die körperlich eben nicht so können, wie sie gerne möchten. Dann haben sie aber natürlich den Kopf sozusagen: Ich möchte dies, ich möchte jenes. Und das ist eben die Hilfe zur Selbsthilfe, das man wirklich selbstbestimmt Leben kann, auch wenn es da vielleicht die eine oder andere Schwierigkeit gibt im Haushalt, oder draußen in der Freizeit oder auch auf der Arbeit.

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Der andere Bereich der Hilfe zur Selbsthilfe wird durch das Mobilitätsangebot des Vereins abgedeckt. In den Sommermonaten werden so zum Beispiel monatlich barrierefreie Ausflüge in die Region angeboten. So lassen sich zwei Grundsäulen des Vereins Selbsthilfe Körperbehinderter ausmachen: Einerseits wird persönliche Assistenz als Dienstleistung angeboten und andererseits gibt es ein ehrenamtliches Netzwerk und Strukturen, die Freizeitangebote bereitstellen. Auch politisches Engagement gehört zu der ehrenamtlichen Arbeit des Vereins. Die Mitglieder sind Teil verschiedener Gremien und Räte, Morgenroth ist so beispielsweise Vorsitzender im Beirat für Menschen mit Behinderung der Stadt Göttingen. Außerdem möchte der Verein durch Aktionen, Pressemitteilungen und andere Stellungnahmen eine Öffentlichkeit für das Thema Inklusion schaffen. Neben vielen positiven Errungenschaften, stößt die ehrenamtliche und professionelle Arbeit des Vereins jedoch auch immer wieder an ihre Grenzen.

O-Ton 3, Jonas Morgenroth, 31 Sekunden

Das eine ist, dass wir sagen Assistenz ist halt wirklich kein Pflegedienst, sondern Assistenz. Das setzt aber auch voraus, dass die Menschen in der Lage sind, selber ihr Leben führen zu können, weil eben, sie selber ausdrücken müssen, was sie wollen. Unsere Assistenten sollen nicht das Denken übernehmen. Und das zweite Thema ist bei uns: Unsere Assistenten sind keine ausgebildeten Fachpflegekräfte im Großen und Ganzen, haben wir auch, aber die meisten Tätigkeiten werden von ungelernten Kräften ausgeführt. Das heißt was wir nicht leisten können, ist Intensivpflegefälle zu versorgen. Da stoßen wir an unsere Grenzen. Das sind so im Prinzip die zwei, für uns begrenzenden Parameter in Göttingen.

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Auch die fehlende Barrierefreiheit in vielen öffentlichen Räumen und in Wohnräumen stelle einen begrenzenden Faktor für die Arbeit des Vereins dar. Mit der allgemeinen gesellschaftlichen und politischen Entwicklung in Bezug auf Inklusion sind Kleinfeldt und Morgenroth jedoch zufrieden. Wir seien auf einem guten Weg, versichert Kleinfeldt. Nur bei der inklusiven Bildung und Arbeit seien noch große Baustellen, die die Stadt Göttingen angehen müsse. Der Bedarf für den ehrenamtlichen Verein zur Selbsthilfe Körperbehinderter wird so in Göttingen wohl noch einige Jahre bestehen bleiben.