Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Lucie Mohme
Datum:
Dauer: 04:47 Minuten bisher gehört: 229
Es ist Zeit, aus sich heraus zu kommen und seine Komfortzone zu verlassen. Denn heute ist der „Stell dich deiner Angst!“-Tag. Der von Life Coach Steve Hughes ins Leben gerufene Tag findet jährlich am zweiten Dienstag im Oktober statt und zielt darauf ab, auf Angstkrankheiten wie Angststörungen und Phobien aufmerksam zu machen. Gleichzeitig ist dies aber auch für jeden ein Tag, mutig zu sein und sich seiner Angst zu stellen, sich etwas zu trauen oder einfach nur über seine Ängste auszutauschen. Das macht nämlich nicht nur Betroffenen Mut, sondern stärkt auch das eigene Selbstbewusstsein. Jeder hat schließlich Ängste und das ist auch ganz normal. Sich diesen zu stellen ist wichtig, aber ganz sicher nicht einfach. Lucie Mohme berichtet.

Manuskript

Text
Ich stehe auf dem Fünfer-Springturm im Schwimmbad. Meine Beine beginnen zu zittern und ich kann mich kaum noch bewegen. Ich versuche zu denken, doch mein Kopf ist leer. Mein Körper sendet mir ganz klar die Signale: ‚Stopp, keinen Schritt weiter.‘“ Situationen wie diese kennt vermutlich jeder. Ängste: Sie begleiten uns im Alltag und jeder hat irgendetwas, wovor er sich fürchtet. Wieso es wichtig ist, sich seinen Ängsten zu stellen, weiß Dirk Wedekind, Professor und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universitätsmedizin Göttingen:

 

O-Ton 1, Dirk Wedekind, 36 Sekunden
Ängste sind natürlich ein völlig normales, ein menschliches Phänomen, was uns wahrscheinlich oft schützt, unsinnige Sachen zu machen, zu gewagte Sachen zu machen, gefährliche Sachen zu machen. Aber Ängste können natürlich, wenn sie übertrieben sind, dazu führen, dass man gewisse Erwartungsängste vor angstbesetzten Situationen bekommt, dass man in Vermeidungsverhaltensweisen kommt, die dann natürlich die Aktivität, aber auch das soziale Miteinander deutlich einschränken können. Und deswegen sind Ängste, solange sie halt einfach auch nicht mit wesentlichen Gefahren verbunden sind, natürlich Phänomene, denen man sich grundsätzlich stellen sollte.“

 

Text
Um den Prozess der Angstüberwindung überhaupt beginnen zu können, ist ein ‚Aha‘-Moment nötig, der einem die Angst als aller erstes erkennen lässt. Nach Zahlen des Robert-Koch-Instituts leiden ungefähr 8,5 Prozent aller Männer und 18,5 Prozent aller Frauen der deutschen Bevölkerung unter ernsthaften Angsterkrankungen. Die Covid-19 Pandemie sorgt ebenfalls für viele Unsicherheiten und Angst vor Infektionen und ist in der letzten Zeit nicht unerheblich gewesen. Was es braucht, um den ersten Schritt in Richtung Selbsterkennung zu gehen, weiß Wedekind:

 

O-Ton 2, Dirk Wedekind, 33 Sekunden
Weil oft ist das natürlich so, dass man das mit verschiedenen psychologischen Mechanismen rationalisiert und sagt ‚Die Angst ist ja durchaus begründet‘ und steuert sich damit selbst halt einfach auch in einen Modus rein, wo man auch einfach weniger vom Leben hat, als man ohne diese Angst eigentlich auch haben müsste. Ängste bei den Menschen momentan eine deutlichere Rolle spielen, als das vor einem Jahr noch war, ist natürlich verständlich, aber es hat bislang nicht dazu geführt, dass wir ein deutlich verstärktes Auftreten von wirklichen Angsterkrankungen wie zum Beispiel der Panikstörung, der generalisierten Angststörung oder der sozialen Angststörung haben.“

 

Text
Sich seiner Angst aber wirklich zu stellen, ist meistens nicht ganz leicht. Der eigene Kopf oder irrationale Szenarien machen einem hier einen Strich durch die Rechnung. Angst und Einsamkeit liegen da oft nah bei einander. Der Schritt mit Menschen in seinem Umfeld über seine Ängste zu reden, ist häufig nicht einfach. Lou Maikowski, ein Patient in Therapie, der unter Panikstörung und unter anderem Höhenangst leidet, hat einen Tipp parat:

 

O-Ton 3, Lou Maikowski, 40 Sekunden
Also meistens versuche ich immer, das so schnell wie möglich in die Tat umzusetzen, weil je länger man wartet, sich einer Angst zu stellen, desto schwieriger ist es am Ende. Und meistens hilft es mir auch, wenn ich mir vorstelle, wie es mir danach gehen wird, wenn ich es überwunden habe.
Wenn ich verdeutliche, dass ich Angst habe, also wenn ich das jemanden sage und vielleicht ein bisschen Druck von außen habe, also Unterstützung. Und nachher dann irgendwem davon berichten kann oder mir halt irgendwas verspreche, wenn ich das gemacht habe, dann kauf ich mir ein Eis oder so etwas.“


Text
Auch der Bereich der Angstforschung entwickelt sich fortlaufend weiter. Es gibt immer wieder neue Erkenntnisse und Forschungsfortschritte zu verzeichnen. Wedekind gewährt einen Einblick in den aktuellen Stand der Dinge:

 

O-Ton 5, Dirk Wedekind, 28 Sekunden
Hier ist gerade bei den Ängsten das Thema „virtuelle Realität“ ein großes Thema, dass man zum Beispiel mit virtuellen Präsentationen angstbesetzte Situationen erlernen kann, ob das nun einfache Tierphobien sind oder auch gewisse situative Ängste. Es gibt aber auch den großen Bereich der biologischen Forschung, insbesondere hier in Göttingen. In meiner Abteilung beschäftigen wir uns zum Beispiel damit, was im Gehirn tatsächlich passiert, wenn Menschen mit bestimmten Angststimuli konfrontiert werden.“

 

Text
Wenn die Angst wirklich krankhaft wird, also den Alltag und die Lebensqualität deutlich mindert, ist zu einer Therapie zu raten. Heute ist eine Gelegenheit für stärker Betroffene, aber auch für alle Anderen sich zu trauen und Mut zu fassen. Durch den „Stell dich deiner Angst-Tag“ wird Aufmerksamkeit für tiefere Psychosen sowie einfache Alltagsängste geschaffen. Auch Maikowski denkt,...

 

O-Ton 7, Lou Maikowski, 17 Sekunden
„...
dass wenn man so einen Tag hat und sich bewusst über Ängste unterhält, dass man dann auch seine eigenen Ängste ansprechen kann. Und vielleicht auch dadurch von anderen Feedback oder anderen Erlebnissen selber den Mut fasst, sich zu öffnen und Neues auszuprobieren.“