Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Lucie Mohme
Datum:
Dauer: 04:12 Minuten bisher gehört: 2342
Es gibt mittlerweile die Möglichkeit, sich als divers im Personalausweis eintragen zu lassen. Das Umtragen birgt aber einige Hindernisse für Menschen, die sich nicht mit einem männlichen oder weiblichen Geschlecht identifizieren. StadtRadio-Reporterin Lucie Mohme hat sich mit dem Thema und der Problematik der dritten Option fürs Geschlecht im Personalausweis beschäftigt.

Manuskript

Text
Seit dem 22. Dezember 2018 ist es möglich, den Geschlechtereintrag auf divers zu ändern, Neugeborene divers eintragen zu lassen oder den Eintrag leer zu lassen. Die Definition des Begriffes ist oft nicht klar. Außerdem scheint die offene und weitgreifende Bezeichnung zumindest bei der Eintragung im Personalausweis einige Geschlechtergruppen auszuschließen. Hannah Engelmann, ehrenamtliche Mitarbeiterin der Trans* Beratung in Göttingen, ist mit der Thematik vertraut:

 

O-Ton 1, Hannah Engelmann, 32 Sekunden
„Divers ist eine Begrifflichkeit, die von Seiten des Staates eingeführt worden ist, um die Vielfalt von Geschlechtern neben männlich und weiblich zu bezeichnen. Das ist also weniger eine Selbstbezeichnung, dass Personen von sich aus sagen: ‚Hallo, ich bin Hannah Engelmann. Ich bin divers.‘. Sondern es ist eher ein Hilfskonstrukt sozusagen, um einen einzelnen Begriff zu haben, dass es für den Staat, eben für die Verwaltung einfacher ist, um eine ganz große Bandbreite von verschiedenen Geschlechtern zu bezeichnen, die eben mit männlich oder weiblich nicht abgedeckt sind.“

 

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Ein großer Teil der Geschlechterkategorien ist der der Intergeschlechtlichkeit. Bei diesen Personen ist es nicht einfach, sie aufgrund biologischer Merkmale einem der binären Geschlechter zuzuordnen. Ein weiterer großer Bereich des Spektrums ist die der Transgeschlechtlichkeit. Hier gibt es zwar eindeutige biologische Merkmale, aber die Person selbst fühlt sich nicht wohl mit den Bezeichnungen und Kategorien, mit denen sie in Verbindung gebracht wird. Die Wahl zwischen den binären Geschlechtern männlich oder weiblich ist hier meist nicht ausreichend. Die Bedingung für die Eintragung „divers“ im Personalausweis ist eine ärztliche Bescheinigung. Dieses Prinzip wird jedoch kritisiert. Trans- und Interpersonen fühlen sich nicht richtig wahrgenommen. Engelmann erklärt die Hintergründe zu der Nachweisdebatte:

 

O-Ton 2, Hannah Engelmann, 30 Sekunden
„Das steht in diesem Kontext von übergriffigen Behandlungen, von Körperverletzung an intergeschlechtlichen Kindern und ist von daher nicht so harmlos, wie es auf den ersten Blick wirkt, sondern ist eben eingebettet in eine strukturelle Gewalt gegen Interpersonen. Bei Transpersonen ist es so, dass eine doppelte Begutachtung, psychiatrische oder psychologische Begutachtung gefordert wird, wo dann ebenfalls auf diesem Wege von psychiatrischer Erkenntnis bewiesen werden soll, dass eben das Geschlecht vorliegt, von dem ich auch sage, dass es vorliegt. Also dass meine Geschlechtsidentität stimmt.“

 

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Der Überzeugung Glauben zu schenken, dass jemand trans- oder intergeschlechtlich ist, reicht nicht aus, um sich im Personalausweis umtragen zu lassen. Zwar haben in Deutschland ungefähr 1.600 Menschen ihr Geschlecht ändern lassen von zum Beispiel „männlich“ zu „weiblich“, aber den Eintrag „divers“ haben Stand 30. September 2020 erst 394 Menschen genutzt. In Göttingen waren es bis 2020 drei Personen. Viele Betroffen machen keinen Gebrauch von der Eintragung „divers“, da es sie abschreckt eine ärztliche Bescheinigung ausstellen zu lassen. Außerdem gibt es viel mehr Kategorien als nur inter- und transgeschlechtlich, die sich nicht ärztlich nachweisen lassen und bei der Eintragung ausgeschlossen sind. Auch Diskriminierung ist ein Grund für die Scheu vor der offiziellen Eintragung „divers“. Engelmann berichtet von den Problemen:

 

O-Ton 3, Hannah Engelmann, 33 Sekunden
Diskriminierung ist leider noch massenhaft fast, würde ich sagen. Also sowohl in der persönlichen Interaktion mit anderen Menschen gibt es alltägliche Respektlosigkeit, die teilweise aus mangelnder Sensibilität oder Unwissenheit geschehen, teilweise auch durchaus gezielt. Es gibt eben eine ganze Reihe von Menschen, die sich davon gestört fühlen, dass da ihre vermeintliche Normalität, an die sie immer geglaubt haben, sich als unzutreffend erweist. Diese vermeintliche Selbstverständlichkeit von „männlich“ und „weiblich“ trifft eben nicht so zu. Wenn Leute das verunsichert und verstört, dann gibt es Menschen, die da mit Aggressivität oder mit Unverständnis reagieren.“

 

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Die Beratungspraxis der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gab an, dass 2018 120 Mal „inter“ als Grund der Benachteiligung angegeben wurde. 29 Mal gehörte diese Angabe zum Bereich des Arbeitsmarktes. Der Ethikrat schätzt die Zahl der intergeschlechtlichen Menschen auf etwa 80.000 in Deutschland. Die Debatte um die ärztliche Bescheinigung ist noch nicht zu Ende. Der Lesben- und Schwulenverband plädiert weiterhin dafür, dass „divers“ allen offen stehen sollte. Demnach sollte eine ärztliche Diagnose nicht notwendig sein.