30 Jahre nach dem Unglück – Northeim erinnert an die Opfer des Zugunfalls vom 15.11.1992
Sendung: | Mittendrin Redaktion |
---|---|
AutorIn: | Lilly Krka |
Datum: | |
Dauer: | 04:21 Minuten bisher gehört: 257 |
Manuskript
Text
Vor dem Gedenkstein auf dem Northeimer Bahnhofsvorplatz direkt zwischen den Gleisen stehen 30 Jahre nach dem Zugunglück ungefähr 70 Menschen im Halbkreis – viele von ihnen in Uniform. Immer wieder müssen die Redner unterbrechen, weil Güterzüge durch den Bahnhof rasen. Trotz des lauten Getöses ist in diesen Momenten vor allem das Schweigen zu spüren. Jeder hier weiß, dass alle gerade an dasselbe denken: Genau so ein Zug war es, der vor dreißig Jahren elf Menschen tötete und über 50 weitere mit teilweise schweren Verletzungen zurück ließ. Northeims Bürgermeister Simon Hartmann erzählt in seiner Rede auch von der Geschichte des Gedenksteins. Zunächst wurden provisorisch Holzkreuze an der Bundesstraße aufgestellt, auf die der Schlafwagen stürzte. Nachdem diese wiederholt gestohlen wurden und ersetzt werden mussten, wurde nach fast zwei Jahren der Gedenkstein aufgestellt. Erst später wurde er an seine heutige Stelle am Bahnhof versetzt. Hartmann verdeutlicht außerdem, warum es ihm wichtig ist, auch nach 30 Jahren noch an das Geschehene zu erinnern:
O-Ton1, Simon Hartmann, 33 Sekunden
„Ich finde der Respekt vor den Toten und den Verletzten und den Angehörigen gebietet es, dass man zeigt: Hier ist etwas ganz Schreckliches passiert. Dieses Zugunglück hat die Menschen bewegt. Nicht nur in Northeim, sondern weit darüber hinaus. Selbst der damalige Ministerpräsident war hier vor Ort und hat sich bei den Helfenden bedankt und hat seinen Respekt zum Ausdruck gebracht. Also ich finde das ganz wichtig, dass es auch Zeitzeugenberichte gibt, dass weitergetragen wird, was hier damals passiert ist. Weil ganze viele Menschen sind dort durch ihre Arbeit auch einfach belastet worden und da muss man eben auch einen Respekt zeigen und eine Wertschätzung zeigen.“
Text
Eine ganz besondere Rolle kam in dieser Nacht des Unglücks natürlich den 320 Rettungskräften zu, die neben Ärzt*innen und helfenden Bürger*innen im Einsatz waren. Ein solches Unglück ist selten und keiner der Helfenden war einer Situation wie dieser jemals begegnet. Frank Beckmann, damals ein junger Sanitäter, heute der Kreisbereitschaftsleiter des Kreisverbands des Deutschen Roten Kreuzes in Northeim und Göttingen, schildert seine Eindrücke zu diesem Einsatz:
O-Ton2, Frank Beckmann, 26 Sekunden
„Die besondere Herausforderung war es einfach, das erst einmal zu realisieren, was da passiert ist. Also die Massivität dessen, so viele Menschen. Und wo helfe ich jetzt zuerst? Wem helfe ich jetzt nicht? Und wie geht das dann weiter? Wie strukturieren wir das hier? Wie können wir all diesen Menschen helfen? Das waren so die größten Herausforderungen. Und auch erst einmal über diese Hemmschwelle zu gehen: Wenn da fünf liegen, kann ich eben nur einem helfen, und die anderen vier, die lässt du eben liegen. Das war eine große Herausforderung.“
Text
Gelobt wird an diesem Nachmittag auch die Reportage, die Christian Vogelbein über die damaligen Rettungskräfte erstellt hat. Für seinen lokalen Blog „Northeim Jetzt“ hat er mit fünf Menschen verschiedener Rettungsorganisationen geredet und sie erzählen lassen, wie sie die Nacht des Unglücks erlebt haben. Dabei habe er vor allem Bewegendes gehört:
O-Ton3, Christian Vogelbein, 26 Sekunden
„Die Reportage war in der Lage, dass sich die Leute auch öffnen und wirklich darüber sprechen, wie es ihnen danach ging, währenddessen ging und heute ging. Und eben, dass dort ehrenamtliche Kräfte gewesen sind, die großes Leid auch gesehen haben und es selber auch nicht verhindern konnten und vor dieser Situation gestanden haben, zu helfen und es nicht immer gerecht machen konnten, aber ihr Bestes gegeben haben. Das ist so mit das Beeindruckendste auch an diesen Aussagen und an den Erinnerungen.“
Text
Wichtig ist in erster Linie, dass sich durch solche Tragödien etwas zum Besseren verändert. Und das hat es – da sind sich alle einig. Ein Vertreter der Eisenbahn und Verkehrsgewerkschaft betont, dass diese Art von Güterzug mit angeschweißten Puffern seither nicht mehr verwendet wird, um solchen Unfällen vorzubeugen. Auch für die Rettungsorganisation habe sich einiges verändert. Beckmann vom DRK sieht in dem Bahnunglück sogar den Auslöser für einen großen positiven Strukturwandel in seinem Verein:
O-Ton 4, Frank Beckmann, 25 Sekunden
„Eine Essenz dieses Einsatzes war tatsächlich, dass sich hinterher alle an einen Tisch gesetzt haben und erkannt haben: Wenn wir es gemeinsam machen, wenn wir gute Strukturen schaffen, dann wird es für uns alle viel leichter werden. Und das war so der Startschuss für gute Strukturen, die wir hier im Landkreis Northeim haben, und der Ursprung liegt sicherlich in diesem Zugunglück. Und eben dann durch die treibenden Menschen, die das erlebt haben und verbessern wollten.“
Zur Verfügung gestellt vom StadtRadio Göttingen
Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für private Zwecke benutzt werden. Jede andere Verwendung (z.B. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Bearbeitung, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung der Autorin bzw. des Autors zulässig. Die Verwendung für Rundfunkzwecke bedarf der Genehmigung des StadtRadio Göttingen.