„Impfpflicht als Dilemma“ – Podiumsdiskussion über kollektiven Nutzen und verletzte Individualrechte
Sendung: | Mittendrin Redaktion |
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AutorIn: | Nicklas Krämer |
Datum: | |
Dauer: | 04:12 Minuten bisher gehört: 1190 |
Manuskript
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Das mit dem Impfen ist so eine Sache. Obwohl es an sich ein sachliches Thema ist, wird oft stark emotional darüber diskutiert und gestritten. Mediale Präsenz erhielten zuletzt vor allem die Masern, die mit neuen Ausbrüchen Schlagzeilen gemacht haben. Mit der Debatte wurden auch erklärte Impfgegner laut. Anfang des Jahres hat die Weltgesundheitsorganisation das Verweigern von Impfungen zu einer der zehn größten globalen Gesundheitsrisiken erklärt. Wenn über das Für und Wider des Impfens gesprochen wird, muss aber auch der ethische Aspekt der Debatte beachtet werden. Deswegen hat die Akademie für Ethik in der Medizin (AEM) gemeinsam mit der Universitätsmedizin Göttingen eine Podiumsdiskussion zum Thema Impfpflicht veranstaltet. Im Rahmen der Jahrestagung „Kollektivität im Gesundheitswesen“ der AEM fragt die Diskussion „Darf im Interesse der Gemeinschaft in Individualrechte eingegriffen werden?“ Das Interesse der Gemeinschaft ist, um bei den Masern zu bleiben, der sogenannte Herdenschutz. Einer der Podiumsdiskutanten, Gerhard Anton Müller, ist Professor an der Universitätsmedizin Göttingen, und weiß, was sich hinter dem Begriff verbirgt.
O-Ton 1, Gerhard Anton Müller, 30 Sekunden
„Der Herdenschutz, der funktioniert eben darüber, dass ein bestimmter Prozentsatz, und bei den Masern sind es so circa 95 Prozent, der Personen geimpft sein müssen. Dann ist die Übertragung von dem Virus de facto nur schwierig, beziehungsweise gar nicht möglich, weil nämlich dann innerhalb der gesamten Gruppe ein Impfschutz besteht, sodass es für den Virus extrem schwierig ist, einen nicht Geimpften zu finden. Damit kann er sich nicht weiter ausbreiten.“
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Dieser Gruppenschutz funktioniere bei den Masern besonders gut, weil sich diese ausschließlich von Mensch zu Mensch übertragen. Wie hoch die Impfquote in Deutschland ist, kann nicht genau gesagt werden. Schätzungen zufolge liegt sie im Fall der Masern knapp unter der Gruppenschutzschwelle. Damit wird das Impfen nicht nur zum individuellen Schutz, sondern auch zu einem Kollektivgut. Rechtfertigt dieser Gemeinschaftsnutzen den individuellen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit? Ja, findet Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, zumindest im Fall der Masern. Er möchte eine gesetzliche Impfpflicht für Kindergarten- und Schulkinder sowie für Menschen bestimmter Berufsgruppen einführen. Stefan Schmidt-Troschke ist ein weiterer Teilnehmer der Podiumsdiskussion und niedergelassener Kinderarzt. Er sieht das geplante Gesetz kritisch.
O-Ton 2, Stefan Schmidt-Troschke, 23 Sekunden
„Ich glaube nicht, dass es tatsächlich dazu geeignet ist, die Masernelimination in Deutschland wirklich voranzubringen, weil wir die falsche Gruppe adressieren. 60 Prozent der Masernerkrankungen sind ja gerade nicht bei Kindern, sondern bei Erwachsenen. Und gerade da, wo ich jetzt sogar eingreife in die körperliche Unversehrtheit, da brauche ich schon gute Gründe. Und bei der Masernimpfpflicht muss ich sagen, reicht es meiner Meinung nach in keinster Weise aus.“
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Ein weiteres Problem sieht Schmidt-Troschke in der Verfügbarkeit der Impfstoffe. Hier bietet die Industrie ausschließlich einen Dreifachimpfstoff für Masern, Mumps und Röteln an. Damit würde eine Impfpflicht für Masern bedeuten, dass diese Pflicht auch für Mumps und Röteln, wenn auch nicht auf dem Papier, gelte. Die Notwendigkeit des Impfens ist aber nicht selbstverständlich. Wenn keine massiven Epidemien drohen, könne eine Impfung als eine individuelle Belastung gesehen werden, die keinen sicheren Nutzen verspricht. Als praktizierender Kinderarzt kennt Schmidt-Troschke die Skepsis mancher Eltern.
O-Ton 3, Stefan Schmidt-Troschke, 24 Sekunden
„Häufig ist es bei jungen Eltern so, dass sie Bedenken haben, ihre sehr ganz kleinen Kinder mit sehr vielen Mehrfachimpfstoffen, oft ja auch zugleich zu impfen. Dann gibt es natürlich deutlichere Artikulierungen, zum Beispiel, dass Impfen grundsätzlich nichts Gutes ist, dass Kinder, die gar nicht geimpft sind, gesünder sind und solche Dinge. Solche Vorurteile gibt es auch, durchaus in der Praxis, aber ich würde sagen, das ist sehr selten.“
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Um die Frage der Podiumsdiskussion noch einmal aufzugreifen: „Darf im Interesse der Gemeinschaft in Individualrechte eingegriffen werden?“ Jein. Am Beispiel der geplanten Impfpflicht der Bundesregierung haben sich in der Diskussion einige Kritikpunkte abgezeichnet, die für eine individuelle Lösung des Problems sprechen. Doch die Frage, ob Menschen sich impfen lassen müssen oder nicht, wird wohl auch in Zukunft noch einige Gemüter erhitzen.
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