Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Ben Mendelson
Datum:
Dauer: 06:12 Minuten bisher gehört: 595
Die Fleischindustrie macht derzeit wegen einiger Ausbrüche von Corona Schlagzeilen. Ein paar Schlachtbetriebe mussten schon den Betrieb einstellen. Besonders problematisch sind die Zustände bei größeren Unternehmen. Ben Mendelson hat deshalb mit einem Schlachter aus Niedersachsen und der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten über die aktuellen Zustände in der Fleischindustrie gesprochen.

Manuskript

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In einigen Schlachtbetrieben sind bundesweit große Ausbrüche von Covid-19 festgestellt worden. Nach Recherchen des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ hatten sich bis Mitte Mai allein in Niedersachsen und Baden-Württemberg über 900 Beschäftigte mit dem Virus infiziert. Drei Schlachthöfe mussten deshalb bereits schließen. Besonders problematisch ist die Situation bei größeren Unternehmen. Die zuständige Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) bemängelt, dass große Betriebe viele Beschäftigte über Subunternehmen oder andere Firmen anstellen. Der NGG-Pressesprecher Jonas Bohl sagt, die Branche stehe zurecht seit Jahren in der Kritik. Neben den Arbeitsbedingungen kritisiert er auch die Unterbringung der Beschäftigten, wie sie bei vielen großen Schlachtunternehmen praktiziert werde:

 

O-Ton 1, Jonas Bohl, 33 Sekunden

"Die Arbeiter leben in der Regel in Massenunterkünften. Das sind zum Beispiel ehemalige Kasernen oder ausgediente Bürogebäude. Dort leben sie sehr eng zueinander, haben kaum die Möglichkeit, sich zu schützen, den Abstand, den wir alle einhalten wollen und müssen, einzuhalten. Die hygienischen Voraussetzungen sind häufig schlecht. Wir vermuten daher, dass die Ansteckungsfälle, die jetzt vermehrt auftreten, eher darauf zurückzuführen sind, dass diese Menschen so beengt miteinander leben müssen – weil sie auch keine andere Wohnung finden."

 

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Außerdem sei es problematisch, dass die Beschäftigten von der Unterkunft zur Arbeit und zurück gemeinsam in einem Minibus transportiert würden. Bei solchen Zuständen sei es kein Wunder, dass Covid-19 hier ein leichtes Spiel habe, so Bohl. Ganz anders ist die Situation bei der Schlachthofgesellschaft Holzminden. Der Betreiber Oliver Loges berichtet, unter seinen 17 Beschäftigten im Schlachthof habe es noch keinen Corona-Fall gegeben. Mit 100 bis 150 Schweinen, die jede Woche am Samstag in Holzminden geschlachtet werden, ist sein Betrieb aber auch verhältnismäßig klein. Nach eigener Aussage ist die Schlachthofgesellschaft Holzminden von Oliver Loges sogar der kleinste und älteste Schlachtbetrieb Deutschlands. Für das Vorgehen der milliardenschweren Konkurrenzunternehmen findet Loges klare Worte. Zugleich verweist er auf die Rolle der Konsumenten:

 

O-Ton 2, Oliver Loges, 39 Sekunden

"Die Zustände sind nicht menschenwürdig. Aber das kann der Verbraucher steuern, indem der Verbraucher sagt: ‚Ich will das nicht. Ich will nicht für 3,80 Euro pro Kilo mein Fleisch kaufen, weil die Leute, die da in den Unterkünften leben für ganz kleines Geld arbeiten gehen müssen.‘ Und das kann nur der Verbraucher verhindern, indem er sich einfach beim Fleischkauf Gedanken macht, wo er es kauft. Denn bei uns gibt es diese Zustände nicht. Bei uns verdient ein Schlachter in der Stunde 20 bis 25 Euro. Und die normalen Mitarbeiter, die Zerleger und Produzierenden, die verdienen auch alle ein vernünftiges Geld und werden nicht über irgendwelche Leiharbeitsfirmen oder Subunternehmer übernommen."

 

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Dass es bei Loges im Betrieb noch keine Covid-19-Infektion gab, liegt wohl auch daran, dass alle Beschäftigten in einem eigenen Haus mit ihrer Familie wohnen und auch nicht gemeinsam im Minibus, sondern im eigenen PKW, zur Arbeit fahren. Angesichts der derzeitigen Krise hat man aber auch in Holzminden den Betrieb umgestellt: Die Mitarbeiter tragen Masken und es wird auf die Einhaltung der Abstandsregeln geachtet. Außerdem läuft der Betrieb in zwei getrennten Kolonnen von jeweils acht Angestellten ab. Sollten Symptome in einer Kolonne auftreten, könnten die Beschäftigten aus dieser Kolonne getestet und die Beschäftigten der anderen Kolonne eingesetzt werden. Der Gewerkschaftssprecher Jonas Bohl sagt, zur Not müssten Schlachtbetriebe ihre Produktion drosseln. Denn das Wohl der Beschäftigten dürfte nicht aufs Spiel gesetzt werden. Er benennt außerdem den Preisdruck, dem viele Unternehmen ausgesetzt seien.

 

O-Ton 3, Jonas Bohl, 31 Sekunden
"Aktuell stehen die Konzerne in einem großen Konkurrenzkampf zueinander. Die Preise für Fleisch sind in Deutschland so niedrig wie kaum woanders auf der Welt. Weil die Supermärkte diese Preise vorgeben, stehen die Konzerne in großem Druck. Und statt sich zusammen zu tun und gemeinsam Vereinbarungen zu treffen, von denen die Beschäftigten profitieren, weigern sie sich, dort Vereinbarungen abzuschließen. Also das ist eine Forderung: ein Tarifvertrag, der faire Löhne regelt für alle in der Branche und der auch regelt, dass die Unterkünfte ordentlich werden."

 

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Ordentlich bedeute, dass die Menschen dort gesund leben könnten, sagt Bohl. Außerdem müsse die Politik stärkere Kontrollen durchführen. Hier habe sich Nordrhein-Westfalen im letzten Jahr als positives Beispiel gezeigt, wo großflächig Kontrollen durchgeführt wurden. Doch genau hier häufen sich jetzt die Fälle von Covid-19-Infizierten. Schlachter Oliver Loges wiederum beklagt den Bürokratieaufwand der Behörden, der kleine Betriebe wie seinen stark belaste. Aus hygienischen Gründen vereinzelt Proben zu nehmen sei ja angemessen. Es müsste aber beim Verwaltungsaufwand Ausnahmeregeln für kleinere Betriebe geben, fordert Loges vom Gesetzgeber. Wenn ersichtlich sei, dass ein Betrieb die tierschutz- und arbeitsschutzrechtlichen Bestimmungen einhalte, sollte dieser nicht noch mit derart vielen zusätzlichen Auflagen bedacht werden, meint der Schlachter.

 

O-Ton 4, Oliver Loges, 32 Sekunden

"Wir haben als kleiner Betrieb genau die gleichen Auflagen wie die großen, nur dass die großen halt viel, viel mehr Schlachtzahlen dahinter stehen haben. Die können die Fixkosten ganz anders steuern, die haben eine ganz andere Besetzung. Also, ein ganz einfaches Beispiel: Wir schlachten ein Mal pro Woche und müssen für dieses ein Mal pro Woche schlachten einen Tierschutzbeauftragten haben. Wir müssen im Prinzip diesen ganzen Prozess, der bei anderen Betrieben rund um die Uhr läuft, auch vorhalten. Und das sind im Prinzip drei Tage Arbeit, um einen Tag zu schlachten. Ich könnte auch drei Tage schlachten und hätte die gleiche Grundarbeit.“

 

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Wer sich ein Bild von den Abläufen im Holzmindener Betrieb machen will, kann auch spontan jeden Samstagmorgen im Betrieb vorbeischauen. Nach einer kurzen Einweisung könne dann der komplette Schlachtvorgang beobachtet werden, sagt Loges. Es gibt auch grundsätzliche Kritik am Schlachten an sich. Die Tierschutzorganisation Animal Rights Watch e.V. zum Beispiel fordert die Schließung aller Schlachthäuser. Oliver Loges erwidert darauf nüchtern: Wenn diese Organisationen alle Menschen davon überzeugen könnten, Vegetarier oder Veganer zu werden, sei das ja schön und gut. Viele Menschen wollten sich aber nicht ihr Fleisch vom Grill nehmen lassen. Von daher sei es wichtig, dass sie ihr Fleisch von solchen Betrieben kaufen, deren Tierschutz- und Arbeitsbedingungen ordentlich seien, so Loges.