Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Tina Fibiger
Datum:
Dauer: 05:55 Minuten bisher gehört: 334
Über Jahrzehnte hinweg hat Dieter Rabe frisch auf die mobile Ladentheke Geflügel und Champignons, Käse, Butter und Eier serviert. Dazu gab es dann auch stets den passenden Spruch, den Rabe mit liebenswertem Humor verpackte. Nicht nur seine StammkundInnen werden den ehemaligen Vorsitzenden des Göttinger Wochenmarktvereins vermissen, der sich zwischen Eierpaletten und gerupftem Federvieh den Schalk im Nacken bewahrte. Am 19. Dezember verabschiedet er sich nach stattlichen 50 Jahren vom Marktgeschehen. Wie sich Rabe in den Ruhestand wagt und dabei ebenso humorvoll Abschied nimmt, hat Tina Fibiger erkundet.

Monika und Dieter Rabe auf dem Göttinger Wochenmarkt (Bild: Ulrich Kurzer)

Manuskript

Text

Der Kunde hat die Nachricht natürlich längst vernommen, dass ihm Dieter Rabe am 19. Dezember zum letzten Mal mit Schwung einen Eierkarton füllen wird. Der stellt ihn jetzt spontan als echten Neukunden vor, obwohl sich die beiden schon seit Jahrzehnten kennen. Natürlich blinzelt dahinter auch die Frage auf, wer sich besser gehalten hat: Der Stammkunde im gepflegten Ruhestand oder der Frühaufsteher, der mit seinen 76 Jahren immer noch ein mehr als sportliches Pensum stemmt und keine Abschiedsstimmung aufkommen lassen will.

 

O-Ton 1, Dieter Rabe, 10 Sekunden

Ich bin halt so. Wenn wir jetzt irgendwo sind. Ich bin sehr spontan, auch mit der Zunge und dann meine Frau, „Kannste doch nicht“. Aber die Leute kennen mich und die kennen mich eben halt nur so.“

 

Text

Das weiß auch die Seniorin, die jetzt eine Handvoll Champignons ordert, während Rabe nachfragt, welche Handvoll es denn sein soll: seine oder ihre. Seine oder ihre? Er wird ihr die passende handliche Portion abwiegen und bekommt dafür ein Lächeln. Sie kann ihren Marktbummel jetzt heiter gestimmt fortsetzen und wie Rabe das eher ungemütliche Wetter ignorieren. Natürlich ist bei der Frage nach wetterwendischen Markttagen bei Frost und mit kalten Füßen sofort ein Konter fällig und das nicht nur mit dem Hinweis auf das dicke Fell, das mit den Marktjahren gewachsen ist.

 

O-Ton 2, Dieter Rabe, 10 Sekunden

Also, ich friere ja nicht wirklich. Meine Frau sitzt auf dem Ofen und friert. Man wird ja älter. Da ist die Zentralheizung auch nicht mehr so heiß. Naja, der Lack ist ab. Zum Glück bin ich ja Frühaufsteher.“

 

Text

Dass aus dem gelernten Kaufmann kein Büromensch werden würde, stand eigentlich schon fest, als Dieter Rabe 1968 in Alfeld seine erste Saison als Marktbeschicker gemeinsam mit seiner Tante meisterte. Den Stand seines Onkels in Göttingen übernahm er dann 1970 und versorgte bald nicht nur die Göttinger dreimal wöchentlich mit frischen Zutaten aus der Region, sondern tageweise auch Hann. Münden und Witzenhausen. „Wenn ich aufstehen muss, schmeiße ich die Füße raus und stehe vor dem Bett“, erklärt der Frühaufsteher. Das bedeutet in seinem Fall: 3:30 Uhr, auch weil er über lange Jahre samstags von Einbeck aus immer zu einer stattlichen Rundreise aufbrechen musste. Bestückt wurden zunächst die Stände in Northeim und Alfeld und dann erst der Vorratsanhänger für die Kundschaft auf dem Wochenmarktplatz. Bovenden lag ebenfalls über lange Jahre auf Rabes wöchentlicher Reiseroute, nachdem er dort nicht nur einen Wochenmarkt mitinitiiert hatte, sondern sich dort, wie dann auch in Göttinge,n als Marktsprecher für die Händlergemeinschaft und für die Kundschaft engagierte.

 

O-Ton 3, Dieter Rabe, 20 Sekunden

Ich gehe halt gern unter Menschen. Ich habe eine große Klappe und die ist dann auch größer geworden mit den Jahren. Aber ich habe so ein Problem. Ich kann so schlecht nicken. Ich lasse mir nicht gern was vorschreiben. Und so sind die Jahre dann hingegangen. Ich mache gern einen Spaß und Leute, die das nicht abkönnen. Das reizt mich. Da laufe ich dann zu Hochform auf.“

 

Text

Ein bisschen nachdenklich wird Rabe dann doch mit Blick auf 50 Jahre am Wochenmarktplatz, wenn er die Kameradschaft unter den Marktbeschickern beschreibt, die früher größer gewesen sei und nicht so von Konkurrenz geprägt wie heute. Zwiespältig fällt auch seine Bilanz über die wachsende Nachfrage nach regionalen Produkten aus, von der die Marktbeschicker keineswegs automatisch profitieren.

 

O-Ton 4, Dieter Rabe, 23 Sekunden

Die Konkurrenz ist ja unheimlich groß geworden. Wenn du heute in den Supermarkt gehst: Die haben Gemüsestände, die sind richtig ausgeleuchtet. Da sieht alles aus, als wenn es ganz frisch ist. Und da haben wir schon zu tun. Ich kann ja nur für uns sprechen. Wir haben ein gutes Geschäft gehabt hier. Und wir wären auch nicht so lange hier, wenn die Leute nicht mit unserer Ware zufrieden wären.“

 

Text

Viele der zufriedenen Stammkunden würden sich vermutlich auch als Fans outen, so wie die ältere Neukundin, die mit einer Schachtel an seinen Stand gekommen war. Nach dem Spruch „Ach, da kommt die alte Schachtel wieder“ konnte sie Dieter Rabe nicht nur mit den Worten besänftigen: „Junge Frau, das, was Sie in der Hand haben, habe ich gemeint“. Schon beim nächsten Eierkauf war die neue Stammkundin bereits bestens gewappnet: “Hier kommt die alte Schachtel wieder“. Jetzt könnte eine weitere Anekdote über die vielen Wortwechsel folgen, mit denen eine Handvoll Champignons oder ein Karton Eier immer wieder neu verpackt wurde. „Das ist jetzt Schnee von gestern“ murmelt Rabe und gönnt sich stattdessen einen humorvollen Blick auf seinen möglichen Ruhestand.

 

O-Ton 5, Dieter Rabe, 11 Sekunden

Ich habe zu meiner Frau gesagt: Also ich hatte mir vor 20 Jahren vorgenommen, meine Werkstatt aufzuräumen. So, das werde ich jetzt in Angriff nehmen. Ja, so wie das aussieht, ist das eine Lebensaufgabe.“

 

Text

Mit seinen 76 Jahren sei er quasi kurz vor 100, kalauert Rabe und setzt auf eine Wochenmarkt-Tradition, die sich seit 15 Jahren bewährt: Auf das gemeinsame Frühstück mit zwei Wochenmarktbeschickern, bei dem zugunsten von Nackenkotelett, Rumpsteak oder gebratenem Lachs gern auf leichte Kost verzichtet wird, möchte er auch in Zukunft nicht verzichten. Die Marktbesucherinnen und Marktbesucher, die seinen Stand vermissen, könnten ihm und seinen Sprüchen gelegentlich wieder begegnen, wenn sie am Samstag kurz vor halb acht nach einem echten Frühaufsteher Ausschau halten, der gerne unter Menschen geht.