Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Steffen Hackbarth
Datum:
Dauer: 05:55 Minuten bisher gehört: 336
Für den Göttinger Einzelhandel waren die letzten drei Monate sicherlich keine leichte Zeit - wie für viele andere auch. Ab dem 16. Dezember mussten die Geschäfte im Rahmen der offiziellen Pandemiebekämpfungsmaßnahmen ihre Türen für den regulären Kundenverkehr schließen. Was dies privat und wirtschaftlich für die Einzelhändler*innen bedeutet und was sie gerne in Bezug auf das Thema vermittelt wissen wollen, hat Steffen Hackbarth in Erfahrung gebracht.

Manuskript

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Seit dem 8. März dürfen im Rahmen inzidenzbasierter regionaler Lockerungen Einzelhandelsgeschäfte teils wieder öffnen, teils Terminshopping anbieten oder weiterhin ihren Kund*innen nur via „click und collect“ zur Verfügung stehen. Was die letzten drei Monate für Menschen aus der Einzelhandelsbranche bedeutet haben, schildert Ariane Bernecker, Inhaberin des Geschäfts „Der Drachenladen“:

 

O-Ton 1, Ariane Bernecker, 30 Sekunden

Geschäftlich war das natürlich ein herber Schlag wie für alle. Ich denke, das hat man über die Medien genug mitbekommen. Und privat war es anders, als viele vielleicht vermuten, dass man dann irgendwie mehr Zeit für die Familie hat. Dem war nicht so. Denn der Lockdown hat für uns bedeutet, dass wir viel mehr Arbeit hatten durch das veränderte Arbeiten, aber einen Bruchteil an Umsatz. Also es war wirklich eine sehr anstrengende Zeit und ist auch immer noch eine sehr anstrengende Zeit. Deswegen war es eben auch privat nicht gerade die Zeit für die Familie leider.

 

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Die Umsatzeinbußen sind zu einem Großteil auf das verkürzte Weihnachtsgeschäft zurückzuführen, da die Geschäfte ab dem 16. Dezember 2020 schließen mussten. Diese Einbußen haben weitreichende Folgen für den Einzelhandel. Für manche Geschäfte bedeutet der zweite Lockdown das Aus, wie die Interviewten empathisch und bedauernd berichten. Doch auch die Geschäfte, die durch Rücklagen wiedereröffnen konnten, müssen die nächste Zeit sehr vorsichtig und strategisch agieren, wie Joachim Stern, Geschäftsführer der Buchhandlung Vaternahm, darlegt:

 

O-Ton 2, Joachim Stern, 35 Sekunden

Das ist dann doch schon etwas beängstigend, finde ich. Ich höre das von vielen, die also auch jetzt so ein bisschen entmutigt sind vor allen Dingen. Und so auch was wichtig ist, man will ja auch investieren, man will dann irgendwie was Neues versuchen und so. Da sind momentan dadurch erst einmal die Möglichkeiten jetzt sehr beschränkt. Jetzt muss man sich erst einmal erholen und gucken, das Jahr über – also ob man das Jahr übersteht. Also das war immer so, dass der Dezember, die letzten Tage des Weihnachtsgeschäfts einem das Polster für den ganzen Rest des Jahres bis zum nächsten Weihnachtsgeschäft quasi sichert. Dieses Polster ist erst einmal nicht da. Also es heißt jetzt ganz vorsichtig sein und eben nicht so viel riskieren.

 

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Strukturelle Kritik formulieren Markus Reich, Inhaber von Carl Tode, wie auch andere Inhaber*innen an der Informationspolitik gegenüber dem Einzelhandel und Kund*innen seitens der Politik, die die Arbeit zusätzlich sehr erschwert hätte:

 

O-Ton 3, Markus Reich, 12 Sekunden

Was uns momentan hier auch in der Verwaltung hintendran extrem viel Mühe kostet: rauszufinden, was dürfen wir, was dürfen wir nicht, und wenn wir es dürfen, wie dürfen wir es und genau so geht es auch dem Kunden

 

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Wesentlich schwerer aber wiegen aus Sicht der Einzelhändler*innen die ausbleibenden finanziellen Hilfsangebote. Darunter wird besonders das Kurzarbeitergeld zeitnah benötigt. Auch hier liegt die Kritik in der intransparenten Kommunikation, da die Gründe für die verspätete Ausschüttung nicht genannt würden, erklärt Ariana Bernecker:

 

O-Ton 4, Ariane Bernecker, 15 Sekunden

Das Kurzarbeitergeld ist bis dato noch nicht da für den Dezember und den Januar. Das ist eine lange Zeit. Das sind einfach die Dinge, die ich mir gewünscht hätte und jetzt auch noch wünsche, dass die Hilfen noch rechtzeitig kommen. Weil, was nützen mir die Hilfen, wenn man vielleicht bis dahin es dann gar nicht geschafft hat zu überleben.

 

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Nicht alle angefragten Ladeninhaber*innen des Einzelhandels wollten sich zu dem Thema äußern. Zu hitzig und emotional werde die Debatte geführt und zu leicht gebe man sich der Kritik nach beiden Seiten hin preis. Nur anonym wurde Kritik geübt, dass Gelder, selbst wenn sie ankämen, gleich an die Vermieter der jeweiligen Verkaufsflächen durchgereicht werden müssten. Hier habe die Politik nicht ausgleichend eingegriffen – Verluste seien alleine von den Geschäften zu tragen bei voller Miete. Diesen strukturellen Widrigkeiten zum Trotz hätten die Göttinger*innen jedoch ihrem lokalen Einzelhandel moralisch und wirtschaftlich durch den zweiten Lockdown geholfen und somit weitere Schließungen verhindert, wie Markus Reich stellvertretend für alle Interviewten konstatiert:

 

O-Ton 5, Markus Reich, 16 Sekunden

Das ist ja so das, was einen so jeden Tag motiviert hat. Jeden Tag hat man das eine oder andere bekannte Gesicht gesehen und dann auch wieder ein neues Gesicht. Grundsätzlich können wir sehr dankbar für unsere treuen Stammkunden und die Kunden sein, die den innerstädtischen Einzelhandel auch unterstützen wollten – ganz gezielt.“

 

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Den Interviewten ist es besonders wichtig, nicht missverstanden zu werden. Niemand von ihnen forderte oder fordert eine Öffnung gegen die Politik oder gegen lebensschützende Maßnahmen. Stattdessen hätten sie gerne mit der Politik gemeinsam nach individuellen Lösungen gesucht. Innovative Konzepte lagen in den Schubladen bereit und zum Teil finden genau diese seit dem 8. März in den geöffneten Geschäften Anwendung. Karin Dannenberg, Geschäftsführerin von Wäsche und Mode Staender, berichtet:

 

O-Ton 6, Karin Dannenberg, 13 Sekunden

Ganz viele Kunden haben gesagt, dass sie sich so freuen, dass es endlich wieder die Möglichkeit gibt, persönlich in die Geschäfte zu gehen und dass sie auch ein gutes Gefühl haben, so wie das gestaltet wird

 

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Sowohl Göttinger*innen als auch Einzelhandel sind der Öffnung und damit auch dem Wiederaufleben des sozialen Miteinanders positiv gegenüber gestimmt. Die Innenstadt mit ihren Besuchern, Restaurants, Cafés und Geschäften ist der Mittelpunkt des sozialen Lebens einer Region. Auch mit Blick auf die Zukunft, sofern Impfungen und weitere Maßnahmen ein gefahrloses öffentliches Leben wieder gewährleisten, stellt Karin Dannenberg fest:

 

O-Ton 7, Karin Dannenberg, 22 Sekunden

Dass wir in Göttingen wirklich noch eine schöne Altstadt, ein Innenstadtbereich haben mit vielen individuellen Geschäften und dass ich wirklich eigentlich jedem nur ans Herz legen kann: Geht in die Göttinger Innenstadt! Schaut, wie viele schöne tolle Geschäfte und Dienstleister wir haben. Dass uns das möglichst lange erhalten bleibt!“